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 Betreff des Beitrags: Abbaddon
BeitragVerfasst: So 8. Aug 2010, 22:36 
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Geburt einer Galaxie
Geburt einer Galaxie

Registriert: So 8. Aug 2010, 21:58
Beiträge: 48
Manipuliere einen Mann mit großer Sorgfalt
Nachsicht fördert seinen Willen
Härte fördert seinen Zorn

* * *
Schlage Eisen und ernte Funken
Schlage einen Menschen und ernte Zorn
Ob Mensch oder Metall
immer bedarf es harter Schläge

* * *

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Akt 1


Ich konnte sie atmen hören.

Ja, sie war ganz dicht bei mir, hinter der Labyrinthmauer aus Blättern und Zweigen. Durch die kleinen Lücken sah ich sie stehen, undeutlich zwar aber ich kannte sie zu gut um sie zu verwechseln. Langsam ging ich an der Hecke entlang bis zur Biegung hinter der meine Liebste auf mich wartete. Vorsichtig lehnte ich mich um die Ecke um mich noch einmal zu vergewissern. Und ja, es war sie.

Meine Geliebte, meine Tineoidea. Mit geschlossenen Augen lehnte sie sich an die Hecke, ihr schmaler, zarter Körper ganz in weiß gekleidet. Ihr schulterlanges Haar umrahmte ihr blasses Gesicht mit den dünnen Lippen. Dieser Anblick erweckte ein wohliges Gefühl in mir und ich ging mit gemächlichen Schritten auf sie zu. Noch einmal suchte ich mit den Augen den Garten ab um mich zu vergewissern, dass niemand anders uns sehen konnte. In den Mauern des Klosters von St. Edgar war das Treffen von Mann und Frau ein Vergehen höchsten Grades. Und doch... die Freude ließ mich jede Strafe vergessen. Als ich bis auf zwei Schritte an Tineoidea herangetreten war öffnete sie ihre grauen, leeren Augen, Augen die keinen Glanz besaßen, ja für manche sogar abnormal und angsteinflößend waren. Sie verzog den Mund zu einem leichten Lächeln. "Abbaddon... ich habe gewartet..."

"Und ich bin gekommen..." Ich hob meine Hand und streichelte ihr sanft über die Wangen. "Mir würde es nie einfallen dich zu versetzen."

Tineoidea schwieg und ihr Gesicht zeigte keine weitere emotionale Regung und auch ihr Lächeln verschwand schnell, so wie oft in letzter Zeit. Es machte mir Sorgen, doch ich wusste auch, dass sie vorsichtig und verschlossen mit ihren Gefühlen umging. Genau das war so reizvoll an ihr, man wusste nie was sie gerade dachte.

"Wann werden wir diesen Ort verlassen?", fragte Tineoidea dann schließlich.

"Wann lassen wir den Erbauer und seine Regeln hinter uns?"

"Schon bald, ich verspreche es.", antwortete ich und fuhr ihr mit meiner rechten Hand durch die dünnen Haare. "Ich habe 20 Jahre, mein ganzes Leben lang, dem hammeritischen Orden gedient... Hohepriester Cain wird mich gehen lassen wenn ich ihn bitte. Und bei dir wird er sicherlich auch nicht nein sagen."

Teilnahmslos blickte Tineoidea ins Leere, irgendwo an mir vorbei.

"Und wenn wir dann von hier fort sind werden wir heiraten. Wir werden glücklich sein.", versuchte ich ihr Mut zu machen, doch sie sah noch immer so seltsam ins Nichts. Dann fragte sie mit tonloser Stimmer: "Und was ist wenn sie dich nicht gehen lassen?"

Verwirrt ließ ich meine Hände wieder unter mein schwarzes Gewand gleiten. Warum hatte sie plötzlich solche Zweifel? Ihr Blick wandte sich endlich an mich.

"Ich spüre, es werden schreckliche Dinge passieren. Ich träumte ich stände vor dem großen Erbauer, der dich vor meinen Augen in Ketten legte und dich an diesen Ort band. Für immer."

Erschrocken lauschte ich ihren Worten und bemerkte wie ihre Augen sich mit Tränen füllten. "Nein! Das werde ich nicht zulassen...der Erbauer straft nur die Sünder, nicht seine Diener. Und selbst wenn ich mein Herz nun auch jemand anderen hingebe... er würde es akzeptieren und wohlwollend seine Hand über uns halten."

Tineoideas Lächeln veränderte sich. Es war nicht mehr das melancholische Lächeln, das ich von ihr kannte, sondern spöttisch. Ich wusste, dass sie nicht freiwillig ins Kloster von St. Edgar gekommen war. Ihre Eltern hatten sie hergebracht, auf dass sie dem Erbauer ihr Leben widmen sollte. Nur war genau das der Grund warum sie sich dieser Religion nie wirklich verbunden fühlte. Ich wurde nie anders erzogen, ich wurde vor den Mauern des Klosters ausgesetzt als ich gerade mal ein paar Monate alt war. Seitdem hatte sich Cain um mich gekümmert, mich die Geschichte des Erbauers gelehrt, mir seine Heldentaten und seine Weisheiten gezeigt. So war ich ein hammeritischer Priester geworden. Und dann hatte ich Tineoidea kennengelernt. Neben mir, 2 Meter groß und breitschultrig, wirkte sie wie ein kleines Mädchen neben ihrem Vater. Und genauso liebte ich sie im Moment. Ich hatte noch nie das Verlangen danach Tineoidea unsittlich zu berühren, noch dazu verbot mir das mein Gelübde. Aber wenn wir diese Mauern verlassen hatten, wenn wir verheiratet sein würden und sie es wünschte...dann würde ich ihr neben meinem Herzen auch meinen Körper schenken.

Vorsichtig legte ich Tineoidea meinen Arm um die Schulter, drückte sie an mich und gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn.

"Meine Tineoidea... ich liebe dich."


Akt 2


Als ich am Abend durch die Gänge des Klosters wandelte um zu Hohepriester Cain zu gehen begegnete ich einem Trupp Hammeritischer Soldaten die mit wachsamen Mienen einen Priester begleiteten. Er trug in einem Glaskasten eingeschlossen einen Kelch mit sich. Ohne mich weiter zu beachten zog die Prozession an mir vorbei. Dieser Kelch... wenn mich nicht alles täuschte war dies ein magisches Artefakt unseres Ordens. Ich wunderte mich, denn sonst blieb der Kelch unter Verschluss. In Gedanken versunken setzte ich meinen Weg fort.

Aus dem Kelch durften einer Legende nach nur Hohepriester trinken, alle anderen Unwürdigen verbrannten in der Glut des Erbauers. Eine seltsame Geschichte... aber ich hatte nicht das Bedürfnis sie zu prüfen.

Schließlich erreichte ich das Arbeitszimmer meines Hohenpriesters. Vorsichtig klopfte ich an die Holztür und öffnete sie als ein gemurmeltes 'Herein' durch sie drang. Cain saß an einem massiven, schwarzen Holztisch, die listigen kleinen Augen auf ein Dokument vor sich gerichtet, das er kritisch begutachtete. Erst als ich ihn ansprach sah er mich herablassend an. Arrogant wie eh und je.

"Hohepriester Cain, ich wollte nicht stören...", begann ich. Der Blick meines Gegenübers wurde fragend. Er deutete auf einen Stuhl und ich setzte mich nachdem ich mich leicht verbeugt hatte. "Es gibt etwas sehr wichtiges, das ich mit Euch besprechen muss. Es geht um-"

Cain unterbrach mich. "Ich habe dir nicht erlaubt eine Bitte an mich richten zu dürfen, Abbaddon. Schweig bis ich dir das Wort erteile.", sagte Cain in einem gelangweilten Ton und beschrieb das Blatt vor sich mit Feder und Tinte. Ich zeigte Verwunderung und ballte meine Hände zu Fäusten. Cain behandelte mich nie besonders freundlich, aber das tat er mit niemandem. Er sah auf jeden herab, den Erbauer ausgeschlossen. Selbst während meiner Ausbildung hatte er nie versucht eine freundschaftliche Beziehung zwischen Schüler und Meister aufzubauen. Seine Art mit Menschen umzugehen gefiel mir nicht, aber unter seinen strengen Blicken wagte ich nicht ein böses Wort zu verlieren. Nach einer Weile legte Cain das Dokument beiseite und wandte sich endlich an mich. "Was wollt Ihr Abbaddon?", fragte er gelangweilt. Er zog eine seiner buschigen Augenbrauen hoch und sah mich streng an. Ich räusperte mich und begann noch einmal mit meiner Bitte. "Ich habe einen Entschluss getroffen. Ich möchte das Kloster verlassen und ein normaler Bürger werden. Doch vorher brauche ich eine Erlaubnis, worum ich Euch höflichst bitten möchte." Im ersten Moment dachte ich, Cain würde mich mit seinem irritierten Blick durchbohren wollen. Eilig sah ich zur Seite und wartete, dass er nach dem Grund fragte. Die Reaktion auf meine Forderung war erschreckend schlichter Natur.

"Nein."
Verdattert richtete ich meinen Blick wieder auf den Hohepriester.
"Wie bitte?" Cain verdrehte die Augen.
"Nein!" Danach wandte er sich einem Buch zu, das er unter seinem Schreibtisch hervorholte.

"Aber...!" Ich stand empört auf. "Aber...es ist wichtig! Ich muss das Kloster verlassen!" Cain schenkte mir keine Aufmerksamkeit. Wütend und fassungslos sah ich den alten arroganten Mann an und hoffte mein Blick könne ihn wenigstens zum Umdenken ermutigen. "20 Jahre habe ich mich dem Kloster verschrieben-"

"Wenn man es genau nimmt für immer.", unterbrach mich Cain noch einmal.
"Wie bitte?!"
"Oja. Da Ihr als Säugling kaum fähig wart so eine Entscheidung zu treffen habe ich sie Euch abgenommen. Und nun, geht Abbaddon, und führt Euch nicht weiter so auf."
Ich war kurz davor meiner Wut freien Lauf zu lassen, doch ich schluckte sie herunter mit der Gewissheit, dass eine unüberlegte Tat jetzt nur noch alles schlimmer machen würde. Wortlos drehte ich mich um und verließ das Arbeitszimmer.
"Nichts ist erfüllender als dem Erbauer sein Leben zu widmen, Abbaddon. Es ist Ihnen vorbestimmt unter seinem Namen zu dienen und irgendwann werdet Ihr mir dankbar sein.", rief der alte Narr hinterher, doch ich hörte schon lange nicht mehr hin.



Akt 3



"Der Stein weiß nicht, warum der Meißel ihn spaltet.
Das Eisen weiß nicht, warum das Feuer es schmilzt.
Wenn dein Leben gespalten und versengt wird, wenn Tod und Verzweiflung dich anspringen,
klage nicht, noch verfluche dein Schicksal.
Danke dem Erbauer für die Prüfungen, die dich formen werden."

Noch während des Gebetes dachte ich wütend über das Geschehen nach. Was sollte jetzt werden? Aus Tineoidea und der Hochzeit? War das eine dieser Prüfungen des geheiligten Erbauers? Ich hob den Kopf und betrachtete gedankenversunken den Altar der hammeritischen Kapelle. Ich hatte mich sofort nach dem Gespräch mit Cain hierher begeben, weil dies einer der wenigen Orte war, an denen ich ruhig werden konnte. Zu dieser späten Stunde war auch kein anderer in der Kapelle, was mir erlaubte laut zu beten, was mir noch mehr die Gewissheit gab, dass der Erbauer mich erhörte.

"Oh großer Erbauer...schenk mir Kraft...ich werde mich deiner Prüfung stellen...auch wenn ich dafür ein großes Opfer bringen muss."

Und der Erbauer schien mich zu erhören. Ich fuhr erschrocken hoch als ich hinter mir ein Klirren und Scheppern hörte. Ich wirbelte herum und ließ meinen Blick über die leeren Bankreihen schweifen. Woher kam das Geräusch? Ich begab mich eilig in den hinteren Teil der Kapelle. Sie wurde nur von wenigen Kerzen erleuchtet, die flackernde unheimliche Schatten tanzen ließen und das Heiligtum nachts in einen gruseligen Ort verwandelten. Die Lärmquelle war schnell gefunden. Vor einem massiven geöffneten Holzschränkchen lagen tausende kleiner Scherben und mitten in ihnen...der Kelch des Erbauers. Ich erstarrte mitten in der Bewegung und stoppte den Reflex nach ihm zu greifen. Der Glanz des Kelches wurde durch den Schein der Kerzen noch verstärkt, doch ich würde ihn da lassen wo er war. Warum hatte man den Kelch hierher gebracht? Und wer hatte versucht ihn zu stehlen? Ich beschloss die Wachen zu alarmieren und eilte zum Ausgang.

Doch nochmals lenkte mich etwas von meinem eigentlichen Vorhaben ab. Ein tiefes Lachen, tausendfach von den Wänden widerhallend, ließ mich zusammenfahren und jagte mir kalte Schauer über den Rücken.

"Wo willst du denn hin...kleiner Mensch?" Meine Augen weiteten sich erschrocken als ich sah wer...oder 'was' da sprach. Vorne auf dem Altar konnte ich einen schattenhaften Umriss erkennen, doch sah er keinesfalls menschlich aus. Zwei gelbe Punkte leuchteten aus der Dunkelheit heraus wie die Augen eines Reptils. Lautlos schlich der Schatten zu mir. Ich war vor Angst wie gefesselt an meinem Platz. Erst als die Gestalt wabernd und unförmig nur noch wenige Schritte entfernt war, wich ich einige Meter zurück bis ich die kalte Steinwand hinter mir spürte. Der Kopf des Schattens, oder was ich als solchen erkannte, legte sich schief und die glimmenden Augen musterten mich ganz genau. "Hmm ich kenne dich nicht... du siehst nicht so aus wie meine Jäger." Ein seltsam knurrendes Geräusch hallte von den Wänden wider. Verwirrt und unfähig mich zu bewegen fragte ich: "Wer bist du? Oder...was? Und was meinst du mit Jäger?" Der Schatten huschte so schnell ganz nah an mein Gesicht, dass ich die Augen zukniff und mit dem Schlimmsten rechnete. Doch das Wesen tat mir nichts. Es musterte mich nochmals von oben nach unten und fuhr mir mit einer krallenartigen Hand über das Gesicht, sachte und vorsichtig. "Hmmm...man hat mich in diesen Kelch gesperrt...diese Narren haben allerdings nicht bedacht, dass ich entkommen würde. Dummköpfe! Ihr Erbauer hat sie wohl im Stich gelassen." Wieder dieses tiefe Lachen. "Wag es nicht über den Erbauer zu lästern! Du befindest dich in einem seiner Heiligtümer und ich werde nicht zögern gegen dich anzutreten!", platzte es aus mir heraus.

"Bei aller Bescheidenheit...du siehst nicht so aus als könntest du etwas gegen einen Dämon ausrichten..."

Ich ballte meine Hände zu Fäusten und sah dem Dämon fest in die bedrohlich glitzernden Augen. "Lieber will ich elendig verrecken, als mit der Gewissheit zu leben ein Monster entkommen lassen zu haben!"

"Du bist entweder sehr dumm oder sehr mutig... oder beides..." Das Wesen nahm Abstand von mir. "Aber wenn ich so überlege... du scheinst mir genau das richtige Werkzeug für meine Rache an den Hammernarren zu sein..." Ich schluckte schwer. Der Schatten vor mir schwoll an und wuchs in die Höhe, überragte mich bald um einige Meter und bäumte sich vor mir auf wie eine schwarze Flutwelle. Panisch nahm ich endlich die Beine in die Hand und eilte zum Ausgang. Ich drückte bereits die Klinke herunter, war in Gedanken schon längst in Cains Büro um ihn zu warnen, da brach die Dunkelheit über mich herein. Benommen stürzte ich zu Boden und meine Gedanken flogen durcheinander. Tineoidea...hoffentlich würde ihr nichts geschehen...Cain...er soll in der Hölle brennen!

"Oh,oh,oh welch unschickliche Gedanken für einen Priester!" Vor meinem geistigen Auge erhob sich der Dämon aus den Schatten. "Aber du scheinst mir ein geeignetes Werkzeug...bittere Wut gemischt mit verzweifelter Liebe...ohh meine Rache wird furchtbar sein!" Das tiefe Lachen hatte sich in ein schreckliches Dröhnen verwandelt, doch die Schmerzen in den Ohren schwanden mit meinem Bewusstsein...


Akt 4


Der Hammerit rümpfte die Nase. Das war jetzt die dritte Leiche die heute Nacht gefunden wurde. Sein toter Glaubensbruder war völlig zerfetzt. Der Brustkorb war nach außen gedrückt und einige Rippen dabei gebrochen. Überall klebte das getrocknete Blut als hätte sich ein wildes Tier an seinem Partner gelabt. Aber das war unmöglich. Eine reißende Bestie mitten im hammeritischen Kloster? Das seltsamste und abstoßendste an der Leiche waren allerdings die tausenden von Maden und Leichenkäfern, die dabei waren den Körper völlig zu zerfressen. Ein leises, fast unmerkliches Schmatzen war zu hören. Der Hammerit kratzte sich am Hinterkopf. "Wer macht denn nur sowas? Das ist ja widerlich!"

Ich hätte ihm die Frage beantworten können. Oder besser gesagt... der Dämon der in mir steckte. Angewidert wandte ich den Blick von dem Toten ab. Mir wurde schlecht, wenn ich mir ausmalte wie meine Hände, meine eigenen Hände Fleisch herausrissen, Knochen brachen und sich neu gewachsene Krallen immer stärker an meinem Bruder wetzten. Unwillkürlich musste ich mich meiner Hände besehen. Sie zitterten leicht, doch der Dämon musste penibelst dafür gesorgt haben, dass kein Fleck Blut zurückblieb. Ich selbst hatte erst wieder Kontrolle über mich erlangt, als ich am nächsten Tag in meinen Gemächern aufgewacht war. Nach anfänglicher Verwirrung darüber, dass ich tatsächlich noch am Leben war, hörte ich schon draußen den Tumult. Ich musste nicht lange überlegen wer das Massaker angerichtet hatte.

"Hohepriester Cain!"

Ein seltsames Gefühl stieg in mir auf, als ich meinen arroganten Lehrer kommen sah. Keinen Moment später wurde mir klar, dass dieses Gefühl nicht von mir, sondern von dem Dämon in mir stammte. Er schien an dem alten Mann interessiert. Cain stolzierte herbei, gehüllt in ein schwarzes Gewand mit Pelzbesatz. "Er hält sich wohl für einen König, der alte Narr.", flüsterte der Dämon. Insgeheim stimmte ich ihm zu. Cain würdigte mich keines Blickes sondern ging eilig und mit steinerner Miene an mir vorbei zu der zerfledderten Leiche. Angewidert stupste er sie mit der Stiefelspitze an und scheuchte damit das Getier auf. "Was für eine Abscheulichkeit...", murmelte er und wandte sich eilig an den Entdecker der Leiche. "Wo wurden die anderen zwei gefunden?"

"Einen fanden wir im Garten. Den anderen Soldaten in der Kapelle.", erklärte der Hammerit." Und letzterer hatte den Kelch des Erbauers in den Händen." War Cain gerade noch annähernd emotionslos gewesen, so war er jetzt mindestens so entsetzt. "Wer hat den Kelch dorthin gebracht?"

Der Hammerit antwortete zögerlich. "Bruder Ansem und einige Soldaten."

"Lasst sie hinrichten. Und bringt den Kelch wieder zurück in den dafür vorgeschriebenen Käfig.“ Cains Stimme war eiskalt und von Grausamkeit geprägt.

"Aber...ist diese Strafe nicht ein wenig-"

"Keine Widerrede!", fauchte der Hohepriester und der Hammerit eilte davon. Als auch Cain wieder gehen wollte, stellte ich mich ihm entschlossen in den Weg. Sein Blick fuhr mir durch Mark und Bein.

"Was willst du Abbaddon? Ich habe bereits nein gesagt."

"Und ich habe nicht vor hierzubleiben, wenn ein Mörder in diesen Mauern sein Unwesen treibt!", sagte ich scharf. Cain musterte mich misstrauisch. "Solltet Ihr den Plan hegen den anderen Mitgliedern von diesen Vorkommnissen zu erzählen und sie damit zu verunsichern, wird Euch das auch nicht hier weg bringen Abbaddon. Oh, und bevor ich es vergesse... heute bekam ich Besuch von Schwester Tineoidea." Für einen Moment machte mein Herz einen Sprung nach oben. Sie war die einzige die mir an diesem Ort noch Kraft schenkte.

"Sie hat heute Morgen auf ihren Wunsch hin das Kloster verlassen. Für immer." Cain grinste hämisch als er sah, wie entsetzt ich reagierte. Ich ließ ihn an mir vorbei gehen. "Warum? Warum habt Ihr sie gehen lassen?", hakte ich mit zitternder Stimme nach.

"Nun, ich habe keine Verwendung für sie. Aber in dir sehe ich ein großes Potenzial. Du wirst unserem Erbauer sehr viel nützlicher sein als dieses fehlgeleitete Weibsbild."

Bei diesen Worten überwiegte meine Wut die Gefühle des Dämons um vieles. Ich wollte diesem Mann hinterher, zeigen wie nützlich ich sein würde für ihn und seine fanatischen Träume. Aber anstatt meinen Worten drangen andere aus meinem Mund, noch dazu in einer gefährlich ruhigen Tonlage.

"Mängel im Zahnrad lassen es zerbrechen.
Mängel im Balken beherbergen den Holzwurm.
Mängel in der Rechtschaffenheit eines Menschen tragen dessen Tod in sich."

Cain stoppte und drehte sich langsam zu mir um.

"Du wagst es...! Du wagst es versteckte Drohungen auszusprechen?! Gegen deinen Meister?" Der Zorn in den alten Augen war unermesslich. Wieder antwortete nicht ich sondern der Dämon. "Steht es nicht so in euren Schriften? Ihr werdet Euch noch selbst zu Grabe tragen, alter Narr." Cain wollte noch etwas erwidern, doch es bewegten sich nur seine Lippen, die Worte schienen ihm im Halse stecken geblieben zu sein.

Er wandte sich von mir ab und eilte eilig, fast schon fluchtartig, davon.

Endlich wieder Herr meiner selbst ging ich in meine Gemächer.
"Jetzt wo Ihr Euren Spaß hattet, Dämon, tötet mich und verlasst meinen Körper.", murmelte ich gleichgültig. Der Gedanke daran Tineoidea nie mehr wieder zu sehen ließ dunkle Gedanken in mir aufkeimen.

"Oh ich habe weder das eine noch das andere vor. Schließlich muss ich mich noch bei Euch revanchieren...ohne Euch hätte mein Racheakt nie so pralle Früchte getragen." Ich setzte mich verwirrt auf mein Nachtlager.

"Was meint Ihr damit Dämon?" Ich konnte spüren, dass die Kreatur unglaublich amüsiert war über meine Frage.

"Nun...zum Beispiel könnte ich Euch zu Eurer geliebten Tineoidea bringen... die Ihr so sehr vermisst und für die Euer Herz so brennt..."

"Ich glaube nicht, dass Ihr mir dabei helfen könnt... oder seid ihr etwa des Fliegens mächtig um die bewachten Mauern zu überwinden?“ Der Dämon lachte hallend in meinem Kopf.

"Nein, aber ich kann sehr überzeugend sein..."

Fast automatisch wandte ich mich zu dem Spiegel, der direkt neben der Tür angebracht war. Nun wusste ich, warum Cain plötzlich so still die Flucht ergriffen hatte. Die Augen, die mich ansahen, waren nicht die meinigen.

Gelb und leuchtend bedrohten mich die Augen des Dämons, der langsam wieder meine Gedanken in Beschlag nahm und sie unter dichter, schwerer Dunkelheit begrub.


Akt 5


Es kam mir vor wie ein Traum. Ich konnte mich selbst sehen, wie ich im Schutz der nächtlichen Dunkelheit durch die Gänge von St. Edgar huschte. Dieser Dämon schien genau zu wissen, wohin er musste...oder war ich derjenige, der ihm dieses Wissen vermittelte? Mit raubtierhaftem Gang, lautlos und schnell, schlich der Dämon von Schatten zu Schatten und mied jede noch so geringe Lichtquelle. Auch die Hammeriten mit ihren mächtigen Waffen konnte er mit Leichtigkeit täuschen und so dauerte es nicht lange bis mein Körper vor dem verschlossenen Portal der äußersten Klostermauer stand. Knurrend stellte der Dämon fest, dass er auch mit der sanftesten Gewalt der massiven Holztür nicht zu Leibe rücken konnte. "Wir brauchen wohl einen Schlüssel...", flüsterte ich. Ohne mir eine Antwort zu geben wandte sich der Dämon um - und stoppte abrupt. Vor ihm stand Hohepriester Cain, begleitet von drei breitschultrigen Hammeriten, ihre mächtigen Hämmer zum Schlag bereit.

"Ich wusste Ihr würdet meine Antwort nicht akzeptieren.", zischte Cain. "Aber dass Ihr Euch deswegen einem Dämon hingeben würdet..." Ich spürte, dass der Dämon bereits entschieden hatte mit meinem Gegenüber kurzen Prozess zu machen, versuchte aber ihn zu beruhigen. Ich zweifelte daran, dass er mit drei Kriegern gleichzeitig fertig werden würde. Überraschenderweise ließ der Dämon es zu, dass ich wieder Kontrolle über meinen Körper erlangte.

"Als ob ich dieses Wesen mit Absicht in mich habe fahren lassen.", sagte ich in einem verachtenden Ton. "Wenn Ihr mich nicht gehen lasst Cain, wird der Dämon weiterhin hier wüten. Ich warne Euch!" Es kostete mich sehr viel Kraft die Kontrolle nicht wieder zu verlieren. Scheinbar wollte es mir das Monster doch nicht so leicht machen. Cain sah mich an wie einen völlig Verrückten.

" Euch gehen lassen und damit eine Bestie auf die Stadt loslassen? Oh nein, ich werde diese Bestie mit den Werkzeugen des Erbauers aus Euch vertreiben und sie wieder in den Kelch einsperren, zu Eurem und dem Wohl aller anderen."

Cain hob nur kurz die Hand und schon stürmten die drei Hammeriten auf mich zu. Der Dämon in mir brach hervor und schaffte es mit Leichtigkeit zwei der Hämmer mit der bloßen Hand aufzuhalten. Ich sah schon wie die dritte Waffe mich zu Boden reißen würde, da spürte ich ein seltsames Ziehen in meinem Rücken. Und auch die dritte Waffe wurde gestoppt - von einem dritten Arm der direkt aus meiner rechten Schulter ragte. Erschrocken wichen die Krieger zurück. Unwirsch beförderte der Dämon die Waffe in ein Gebüsch und ging auf die vier Ordensmänner zu. "Komm nicht näher, du Monster!", schrie einer der Krieger. Kurz darauf packte der Dämon ihn, hob ihn auf Augenhöhe und lachte höhnisch. "Ich kann dir mit einer Hand das Genick brechen du Wurm! Und du wagst es, dich mir in den Weg zu stellen?" Die dünnen langen Finger schlossen sich immer enger um den Hals des Hammeriten. Dieser würgte und ächzte nach Luft und lief bereits ungesund blau an. Ich spürte, dass der Dämon ihn bereitwillig töten würde und versuchte dagegen zu appellieren.

"Lass das! Du bringst ihn noch um!"

Der Dämon vor meinem geistigen Auge winkte ab.

"Na wenn schon, ich - oder besser gesagt wir - haben schon drei von der Sorte aus dem Weg geräumt. Da kommt es auf einen mehr oder weniger doch wohl nicht an."

Der Hammerit umklammerte meine Hand und versuchte sich windend aus dem festen Griff zu befreien. All die Verzweiflung und die Todesangst waren ihm deutlich anzusehen.

"Deine Peiniger haben es nicht anders verdient.", raunte der Dämon. Und er drückte noch fester zu. Ich wollte nicht sehen, wie er diesen Mann quälte, nein!

"Hör auf damit!", schrie ich. "Hör auf damit!" Der Dämon verließ urplötzlich meine Gedanken. Mein Griff wurde schwächer und ich ließ den Hammerit prompt fallen. Ich bemerkte wieder das Ziehen in meinem Rücken und stellte mit einem Blick über meine Schulter fest, dass auch der dritte Arm verschwunden war. Cain deutete mit Fassungslosigkeit und Wut auf mich. "Packt ihn! Nehmt das Monster gefangen!" Ohne jeden Widerstand ließ ich mich von den beiden übrigen Hammeriten an den Armen davonschleifen. Ich war zu schwach um mich zu wehren. Und auch der Dämon schien erkannt zu haben, dass ein weiterer Fluchtversuch sinnlos sein würde.


Akt 6


Schon als ich die Verließe am Anfang meiner Ausbildung vorgeführt bekam, wusste ich - an diesem Ort wollte ich nie gefangen sein. Kalte, feuchte Wände, nicht der geringste Einfall von Licht, ein Höllenloch. Die beiden Hammeriten ketteten meine Arme an die Steinwand und fesselten meine Beine. Der kalte Stahl um meine Handgelenke gab mir schon jetzt ein beklemmendes Gefühl. Mein Gewand wurde mir ebenfalls genommen, und so stand ich schutzlos vor Cain, der sich wie ein gnadenloser Richter vor mir aufbaute. Links von ihm stand ein Holztisch, die Gerätschaften darauf waren wohl Folterinstrumente, die ich wahrscheinlich noch zu spüren bekommen würde. Doch der Dämon in mir schien die Angst vor Schmerz zu verschlucken wie ein gefräßiges Tier. Stumm aber schwer atmend sah ich Cain herausfordernd an.

"Was hast du dir eigentlich dabei gedacht", fragte Cain in einem bedrohlichen Tonfall, "der Dunkelheit in dir Einlass zu gewähren?" Ich ließ es diesmal zu, dass der Dämon mir die Worte in den Mund legte.

"Ich habe Eurem Schützling ein Angebot gemacht, das Ihr ihm verwehrt habt. Was ist daran so schlimm?" Cain zuckte kurz zusammen als er begriffen hatte mit wem er sprach.

"Verlasst diesen Körper, Ungetüm!", befahl er. "Wenn Ihr es nicht freiwillig tut dann werde ich Euch aus ihm vertreiben müssen!" Den Dämon schien das nicht zu beeindrucken. "Da werdet Ihr Euren Untergebenen schon töten müssen! Mich kann die schlimmste Folter nicht verjagen, geschweige denn Drohungen eines senilen Fanatikers!" Ein spöttisches Lächeln lag mir auf den Lippen. Cain schlug mit der Faust auf den hölzernen Tisch.

"Wie kannst du es wagen du Monster?!" Wütend griff er nach einem eisernen Spieß und hielt ihn über das Feuer eines Brennofens, der in der Ecke des Raumes eingebaut war.

"Ich wusste schon, dass etwas nicht stimmte, als ich die Leichen gesehen habe. Und diese...diese Augen! Die Augen einer Höllenbestie!" Schnaubend nahm er den erhitzten Spieß, dessen Spitze rot leuchtete.

"Aber ich werde dafür sorgen, dass dieser dämonische Blick und sein Besitzer niemanden mehr ängstigen werden..."

Was macht er da? Was tut der Verrückte? Nun doch von Panik ergriffen riss ich an meinen Fesseln.

"Das könnt Ihr nicht machen!", schrie ich heraus während Cain immer näher kam.

"Oh da irrt Ihr Euch, Dämon. Der Erbauer hackte den Dieben die Hände ab, damit sie diese nicht mehr gierig ausstrecken konnten. So werde ich Euch Eure Augen nehmen, auf dass keiner mehr ihrem dämonischen Schein ausgeliefert ist."

Entsetzt weiteten sich meine Augen. Ich roch das Feuer und den Rauch, versuchte verzweifelt mein Gesicht zu verstecken. Die Hammeriten traten an meine Seite und hielten meinen Kopf fest, so dass ich mich wie in einem Schraubzwang fühlte. Es dauerte nur einen Moment, dann spürte ich den bestialischen Schmerz in meinem rechten Auge. Ich schrie, schrie so laut, dass ich dachte, der Kerker würde erbeben, doch es war wohl nur das unkontrollierte Zucken meines restlichen Körpers, das mir das vorgaukelte. Völlig betäubt von der ersten Schmerzwelle nahm ich den Verlust des zweiten Auges mehr oder minder hin.

Die Welt um mich herum färbte sich rot.

Ich spürte und schmeckte das Blut, das über mein Gesicht aus den ausgebrannten Höhlen tropfte wie ein Strom aus tragischen Trauertränen. Einen Moment lang versuchte ich noch mich zu wehren, gegen die Tatsache, dass man mir das Augenlicht genommen hatte, gegen den brutalen Griff, der mich immer noch in Zaum hielt. Langsam verließ mich jegliche Kraft und mein Körper ließ sich völlig am Limit nur noch von den Ketten tragen, die mich fesselten. Nun würde meine Welt für immer dunkel sein... ich sah Tineoidea vor meinem geistigen Auge stehen. Es würde nicht lange dauern, dann würde ich sie vergessen haben, ihr Aussehen, ihre ganze strahlende Schönheit...

Ich spürte wie die Hammeriten ihren Griff lockerten und mein Kopf genauso wie mein restlicher Körper schwächlich nach vorne kippte. Ich hörte Cains Schritte, die langsam auf mich zukamen. Ich konnte seinen warmen Atem an meinem Ohr spüren, als er mir noch ein paar letzte Worte zuflüsterte.

"Jetzt bist du rein, fern von aller Sünde gegen unseren großen Erbauer. Ignoriere die Worte des Dämons, sie blenden dich. Solltest du dich diesem Befehl widersetzen werde ich nicht zögern und dir auch noch die Ohren abschneiden."

Ohne weitere Regung nahm ich seine Warnung zur Kenntnis Ich hörte die Schritte mehrerer Personen, dann wie eine schwere Eisentür geöffnet wurde. Die Geräusche verhallten bald in der Ferne.

Und ich erkannte wie unerträglich die Stille sein konnte, jetzt wo ich nicht mehr hatte als diese.

Ich war überrascht als eine Hand mein Kinn abhob, konnte aber nicht mehr tun als kurz zusammenzuzucken. Die Stimme des Dämons drang durch den Nebel aus körperlichem und seelischem Schmerz wie ein Messer durch Fleisch. Und erst jetzt bemerkte ich wie ähnlich sie meiner war.

"Armer Mensch...dir wird Stück für Stück alles genommen was dir doch so wichtig ist...und trotz allem hast du SIE, die eine, nie vergessen. Aber meinst du sie wird dich so noch wollen? Einen Krüppel ohne Augen?"

Ich zögerte nicht lange mit meiner Antwort. Selbst wenn ich den Dämon erzürnen sollte, im Moment war ich sowieso schon mehr tot als lebendig.

"Ihr hättet doch die Kraft gehabt mich vor meinem Verlust zu bewahren, richtig? Wollt Ihr mich in den Wahnsinn treiben und mich der Folter aussetzen bis auch der Rest meines Körpers kaputt ist?" Gib mir den Gnadenstoß, dachte ich. Gib mir den verdammten Todesstoß.

Der Dämon musste meine Gedanken kennen, doch er machte keine Anstalten meinem Flehen Taten folgen zu lassen. Das Leid anderer war für ihn wohl wie für mich die Luft zum Atmen.

"Euch zu töten, Mensch, wäre töricht. Ich brauche einen Körper...einen starken Körper. Ihr scheint mir eine starke Seele zu besitzen. Ich frage mich, ob das dieses törichte Gefühl namens "Liebe" bewirkt..." Der Dämon ließ ein finsteres Grollen laut werden.

Wären da nicht diese bestialischen Schmerzen gewesen hätte ich wohl laut auflachen müssen. "Nein, ich bin nicht stark. Wie ihr schon erkannt habt bin ich ein Krüppel und nicht fähig von hier zu fliehen, doch nichts - außer vielleicht den Tod - wünsche ich mir sehnlicher." Ich spürte wie lange, spitze Finger den Fluss des Blutes auf meinem Gesicht nachzeichneten. Warmes, rotes Blut. Pulsierender Lebenssaft und doch Symbol für den nahen Tod.

"Ich schlage euch einen Deal vor.", meinte der Dämon plötzlich. Ich horchte auf. "Ein Geschäft? Mit einem Wesen der Finsternis?"

"Die Verhältnisse sind fair.", sprach er weiter ohne auf meinen Einwand einzugehen. "Ich könnte Euch Euer Augenlicht zurückgeben und noch dazu genug Macht um dieses ganze Kloster in Schutt und Asche zu legen. Ich will dafür nur in Eurem Körper wohnen bleiben und zwar für immer..."

"Ich muss zugeben...das hört sich nach einem guten Angebot an. Auf jeden Fall besser als hier unten tagtäglich gefoltert zu werden bis zum Tode."

"Dann soll es so sein, Mensch." Die Finger des Dämons strichen vorsichtig über meinen Oberkörper, bis an die Stelle an der man mein Herz schlagen hören konnte. Dazu murmelte er etwas in einer Art rituellen Singsang:

"Unsere Geister sollen eins werden
Wir tauschen die Habgier des Menschen
Gegen die Blutlust des Dämons
Du sollst mein Gefäß sein
Ich werde deine Augen sein
Nun schlagen in dir zweierlei Leben
Ein Herz zerbrechlich, süßlich rot
Ein Klumpen, verwesend, schwarz wie der Tod."

Ich wagte nicht ihn zu unterbrechen, selbst dann als ich Schmerzen spüren konnte, dort wo er mich zuvor berührt hatte, brennende Spuren im Gesicht und auf der Brust. Und mit jedem seiner Worte wurden sie unerträglicher.

"Vom frommen Mann
zum Rächer aus verbrannter Erde
Abbaddon, Herrscher des Abgrunds
Blind für das Licht
Kalt für den Schmerz
Verschmelze mit dem Schatten deiner selbst
Bis die Esse deine Knochen frisst."

Und dann, mit einem einzigen, pulsierenden Schmerz, der mich fast das Bewusstsein kostete, schien der Dämon in mich hinein zu greifen, ohne mich zu verletzen, einfach durch meine Haut hindurch. Mein Herz setzte für einen Moment aus als kalte Pranken es umschlossen. Mein Körper bebte unter unbegreiflicher Pein. Noch einmal konnte ich die Stimme des Dämons an meinem Ohr säuseln hören.

"Sieh mich an.", flüsterte er. "Öffne deine Augen und siehe dein Spiegelbild."

"I- ich kann nicht sehen. Hinter meinen schlaffen Liedern gibt es nichts das sehen könnte.", presste ich unter Schmerzen hervor.

"Tu es!", zischte der Dämon in einem befehlenden, donnernden Ton. Ich spürte wie sich erneut ein Schwall warmes Blut über mein Gesicht ergoss als ich die Augenlider anhob. Mir stockte der Atem. Ich konnte sehen, ich konnte tatsächlich sehen. Doch was ich erblickte ließ mich an meinem Verstand zweifeln. Ich konnte MICH sehen, zwar unglaublich verändert, aber das war zweifelsohne mein Körper der da vor mir stand. Meine Augen waren nur noch schwarze, leblose Löcher, doch in ihnen glühte immerfort ein dämonisches gelbes Licht. Zwei dunkle Male zogen sich von unten und von oben durch die Leeren Höhlen senkrecht über Stirn und Wangen, wie eine dunkle Tränenspur. Ein fast schon spöttisches Lächeln umspielte meine Züge. "Das bist du nun.", sprach der Dämon mit meinem Mund.

"Aber...ich sehe aus wie ein Monster!", schrie ich fassungslos. "So haben wir nicht gewettet!"

Die Gestalt die aussah wie ich lachte bösartig auf. "Du bist also kein Monster? Dabei hast du dich doch mit mir vereinigt..." Ich wollte widersprechen, doch die Worte blieben mir im Halse stecken. War das vielleicht die Strafe des Erbauers? Zu wandeln auf Erden als Ungetüm?

"Hör auf dich von diesem Mythos lenken zu lassen! Es gibt keinen Gott...und wenn hat er dich ohne Zweifel verlassen."

Es war mir unangenehm das einzugestehen, aber der Dämon sprach wohl die unbestreitbare Wahrheit aus. Nun hatte ich niemanden mehr an den ich glauben konnte außer vielleicht...oh Tineoidea, ich vermisse dich so sehr.



"Gibt es da nicht einen sehr passenden Satz aus euren hochheiligen Schriften?", fragte mein zweites Ich und sein Gesicht näherte sich dem meinigen. Seine weiße Haut wirkte wie aus makellosem Porzellan und sein starrer Blick aus den finsteren Abgründen war gerade zu hypnotisch. Langsam und in einem melancholischen Ton sprach er:

"Du hast die Finsternis durchreist
Doch was weißt du?
Das Auge ist das Licht des Leibes
Doch wenn das Licht in dir Finsternis ist
Wie groß wird dann die Finsternis sein?"

Langsam, Stück für Stück, löste sich mein Spiegelbild in Luft auf. Doch die Worte die es mir mit auf den Weg gegeben hatte hingen über meinen Gedanken wie ein Spinnennetz das keine Flucht erlaubte. Unendlich müde senkte ich den Kopf und schloss die Augen, mit der Hoffnung aus einem schlimmen Alptraum zu erwachen..."


"Wenn du zu lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein." -Friedrich Nietzsche
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Verfasst: So 8. Aug 2010, 22:36 


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 Betreff des Beitrags: Re: Abbaddon
BeitragVerfasst: So 8. Aug 2010, 22:43 
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Geburt einer Galaxie
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Akt 7


Eilige Schritte und das Knarzen der schweren Eisentür ließen mich aufhorchen. War das Cain? Wollte er mich weiter foltern? Ich ließ meine Augen geschlossen, spannte meine Muskeln an, lauerte. Doch ich hatte mich geirrt, es war nicht mein fanatischer Lehrmeister.

"Abbaddon! Abbaddon, wach auf!" Zarte, dünne Finger streichelten mir über das Gesicht. Die sanfte Stimme war mit Angst durchzogen.

"Tineoidea..." Ich ließ meine Augen geschlossen. Sie sollte es nicht sehen. Sie sollte nicht sehen was sie mir genommen hatten, was man mir gegeben hatte.

"Deine Augen bluten ja! Was haben sie dir angetan?" Die Stimme meiner Geliebten wurde brüchig und ich konnte erahnen, dass sie den Tränen nahe war.

"Tineoidea...hör mir gut zu...", flehte ich leise und sie schmiegte sich an meine Brust. Wie sollte ich es ihr nur sagen? Wie konnte ich ihr erklären, dass ich nun nicht mehr menschlich war? Sie atmete leise, lehnte sich an meine Brust, lauschte meinem Herzschlag.

"Liebste...es...ich muss dir etwas gestehen, ich-"

Tineoidea unterbrach mich.

"Jetzt ist mein Traum doch wahr geworden...sie haben dich nicht gehen lassen und du wolltest fliehen, stimmts? Sie haben dich sogar eingesperrt wie einen Verbrecher..." Sie schluchzte leise. "Und so jemand bezeichnet sich als Diener eines Gottes..."

"Cain hatte seine Gründe.", sagte ich knapp.

Tineoidea löste sich von mir. Ich konnte ihren fragenden Blick spüren. "Was meinst du damit? Was hast du getan?" Hörte ich leise Unsicherheit in ihrer Stimme?

Die Frage schwebte unheilvoll über mir wie ein Damoklesschwert. Ja...was hatte ich eigentlich getan?

"Sieh mich an Abbaddon! Sieh mich an und antworte mir."

Ich zögerte. "Du musst mir versprechen nicht weg zu laufen...", flüsterte ich. "Wieso sollte ich so etwas tun? Ich liebe dich doch!

Noch nie hatte ich solche Angst vor der Wahrheit gehabt. Selbst wenn sie mich liebte, wenn sie dann wusste dass ich ein Dämon war... sie würde wegrennen, mich allein lassen, jemand anderen finden.

Aber...vielleicht war es besser für uns.

Wenn ich hier bleiben würde wäre ich ein toter Mann.

Wenn ich fliehen würde, würde ich gejagt werden wie ein Tier.

Und das wollte ich Tineoidea nicht antun...

Wortlos öffnete ich meine Augen und sah in die ihren. Sofort spürte ich den Schreck in ihre Glieder fahren als das dämonische Licht in den leeren Augenhöhlen aufflackerte. Starr vor Entsetzen konnte sich meine Liebste nicht von mir abwenden, der Ausdruck in ihrem Gesicht war ein Gemisch aus Angst und Ekel.

Angst...oja, ich konnte sie nur zu gut verstehen. "Lauf weg.", murmelte ich und senkte den Kopf um ihr den Anblick zu ersparen. "Ich habe drei Menschen getötet, mit Hilfe einer sündhaften Kraft die mir Rettung offenbart hat. Ich bin kein Mensch mehr...ich bin ein Dämon."

Das einzige was zu hören war, während meine Worte von den Wänden widerhallten, war das Knistern des Feuers im Schmelzofen. Tineoidea schien etwas sagen zu wollen, öffnete den Mund, aber es kam kein Ton über ihre Lippen. Ich lächelte gequält. "Du glaubst mir nicht, oder?" Langsam schüttelte mein Gegenüber den Kopf. "Ich kann es dir beweisen, sieh hin."

Ich spürte das leichte Ziehen in meinem Rücken und war nicht verwundert als meine zwei neuen Arme verzweifelt versuchten nach Tineoidea zu greifen. Ich wusste, ich wollte sie nicht gehen lassen, aber ich musste!

Am besten weg, weit weg von mir.

Tineoidea war noch weiter zurückgewichen in Anbetracht meiner sich gierig nach ihr streckenden, zusätzlichen Hände. Ich hob den Kopf.

"Du bist immer noch hier? Verschwinde!" Meine Stimme hörte sich so kalt und schneidend an, dass ich selbst vor ihr erschrak. Aber sie rührte sich nicht. Stumm schüttelte meine Liebste den Kopf. Ich musste tief seufzen und ließ meinen Blick wieder sinken.

"Warum? Wenn sie dich hier finden...und ich...ich könnte dir weh tun...also warum gehst du nicht?"

Plötzlich bekamen meine Hände etwas zu fassen. Eine hatte nach Tineoideas Schulter gegriffen, die andere ihren Arm. Sie war näher gekommen und versuchte nicht einmal sich aus meinem Griff zu befreien. Als ich zu ihr aufsah war ihr Blick fest und entschlossen.

"Tineoidea..."

"Du wirst mir nicht weh tun." Sie lächelte mich an. "Da bin ich mir sicher." Ich spürte, dass der Wunsch sie erneut an mich zu drücken größer wurde, allerdings auch die Angst sie nicht mehr gehen lassen zu können, sie hier fest zu halten, ihr Schmerz zuzufügen. Doch Tineoidea tat all das ohne dass ich sie zwingen musste. Nachdem sie sich erneut an mich geschmiegt hatte umfasste ich sie zögerlich aber sanft mit meinen insgesamt sechs Armen, schützend wie ein Kokon um den Körper meines Schmetterlings.

Es dauerte bis wir uns voneinander lösten.

"Lass uns von hier verschwinden.", bat Tineoidea. "Ich habe keine Schlüssel für die Fesseln aber wir werden das schon irgendwie..." Ohne sie den Satz beenden zu lassen sammelte ich all meine Kraft in den freien Händen und riss mir die Ketten von den Gelenken. Einen Moment waren wir beide gleichermaßen erstaunt, dann eilten wir durch die Gänge des Klosters, Richtung Ausgang.

Diesmal gelang es mir. Ich war so geschickt wie mein dämonisches Inneres es war, nutzte die Schatten und jeden toten Winkel. Und obwohl ich diesmal noch Tineoidea bei mir hatte gelang alles.

Endlich frei.



Akt 8


"Einst sprach die Dirne zum Priester: "Verweilt ein bisschen und lasst Eure Pflicht warten." Der Priester verweilte. Und die Dirne wurde mit Birkenruten ausgepeitscht und der Priester vom großen Getriebe zermalmt, denn der Weg der Rechtschaffenheit führt in Höhen, aus denen Stürze gefährlich sind."

Ich konnte nicht umhin diese für mich mittlerweile bedeutungslose Phrase zu belächeln. Dieser Hammeritische Vers war mir plötzlich in den Sinn gekommen, als einer meiner ehemaligen Brüder am Fenster vorbei lief, und ich musste unweigerlich an meine Flucht und die meiner Geliebten denken.

"Wir werden ja sehen wer hier zermalmt wird...", murmelte ich und mein spöttisches Lächeln wurde breiter. Ich lehnte mich zurück in die weichen Kissen meines Bettes. Die Dunkelheit des Zimmers die nur von dem Lichtstrahl aus dem kleinen Fenster unterbrochen wurde tat mir gut. Sie wirkte beruhigend und gab mir seltsamerweise ein Gefühl von Geborgenheit, nicht wie sie mir Tineoidea gab, aber es war trotzdem sehr angenehm.

Ich wusste nicht woher meine Geliebte plötzlich kam als sie mich retten wollte, sie erwähnte nur eine gute Freundin die ebenfalls das Kloster verlassen hatte und Tineoidea angeblich eine große Hilfe gewesen war. Diese stellte uns auch das Versteck hier zu Verfügung, was mir allerdings ein wenig suspekt vorkam. Ich würde sie im Auge behalten. Mir schien es, als würde es stimmen was man über gebrannte Kinder sagte: Sie strecken nicht nochmal die Hand ins Feuer. So brachte ich jedem Fremden Misstrauen entgegen, damit nicht noch einmal so etwas geschah wie bei Cain.

Elender Bastard.

Allein der Gedanke an ihn brachte das dämonische Blut in mir zum kochen. Meine schrecklichen Augen verbarg ich tagtäglich unter einer Binde durch die ich überraschenderweise alles mehr als klar erkennen konnte. Noch eine weitere praktische Fähigkeit die das Monsterdasein mit sich brachte. Die Stille und die Dunkelheit ließen einen wohl mit der Zeit verbittern, anders konnte ich mir meine sarkastische Einstellung nicht erklären. Nur die Person, die soeben das Zimmer betrat, konnte mich aus dem Sumpf voll trübsinniger Gedanken ziehen.

Tineoidea küsste mich auf die kalte Wange.

"Du willst wirklich nicht raus? Die frische Luft wird dir gut tun."

Ich schüttelte leicht den Kopf. "Wenn mich jemand von den Hammeritern erkennt werden sie mich wieder einsperren, und dich vielleicht gleich mit. Und das will ich nicht." Ich ließ mich zu einem leichten - aber auch gezwungenem - Lächeln hinreißen, aber Tineoideas Blick ließ mich schnell begreifen, dass sie es als falsch enttarnt hatte.

"Mach dir doch keine Sorgen...es geht mir gut, wirklich." Ich fuhr ihr mit einer Hand durch das dünne Haar. Sie ergriff meine Finger und meinen Arm.

"Du fühlst dich so kalt an. Als wärst du tot..." Tineoidea schluchzte trocken und ich erschrak. "Warum weinst du denn? Ich lebe, das siehst du doch...!", flüsterte ich ihr sanft ins Ohr.

"Ich habe das Gefühl, dass du dich verändert hast, als wärst du jemand anderes. Als hätte der Dämon dich ausgewechselt. Und genau das macht mir ein bisschen Angst..." Betrübt blickte ich zu dem kleinen Fenster. Die Sonne schien immer noch kräftig hindurch, wie das berühmte helle Licht am Ende des Tunnels.

"Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin immer noch ich, auch wenn der Dämon mir seine Kräfte überlassen hat. Nichts hat sich geändert.", versuchte ich sie zu beruhigen.

"Abbaddon, ich..." Tineoidea ließ den Satz unbeendet. Ich stand vom Bett auf und kniete mich vor Tineoidea auf den Boden. "Hast du denn vergessen warum wir gegangen sind?" Ich schenkte ihr ein diesmal ehrliches Lächeln zur Aufmunterung. Ihre Mimik war undurchschaubar, war weder freudig noch traurig. Nichtssagend sah sie mich mit ihren leeren Augen an. Ich nahm ihre beiden Hände in die meinigen.

"Tineoidea...willst du...willst du mich heiraten?"

Sie sah mich überrascht an. Hatte sie etwa tatsächlich vergessen was wir uns noch vor wenigen Tagen gesagt hatten? Sie schwieg weiter, selbst als ich ihre Hände, die viel wärmer waren als meine, noch fester drückte.

Starrer Blick.

Tineoidea drückte meine Hände weg und lockerte meine Augenbinde. "Ich bin mir ehrlich gesagt nicht mehr so sicher..." Der Stoff fiel zu Boden und Tineoidea sah mir in die dämonischen Augen.

"Ich bin mir nicht sicher ob ich Tag für Tag in diese Augen sehen möchte, Augen die mich immer und immer wieder daran erinnern wie viel Leid und wie viel Hass in dir eingebrannt wurden. Und es ist meine Schuld..."

"Aber das...das ist doch nicht wahr!" Ich packte Tineoidea an den schmalen Schultern, ungeachtet dessen wie fest ich zugriff. "Du bist an nichts schuld!" Sie quiekte erschrocken auf und ließ sich hinten auf das Bett fallen. Einen Moment lang begriff ich nicht was geschehen war, sah zu meiner Geliebten und wollte mich entschuldigen, sah auf meine Hände und wollte schreien. Das Blut meiner Opfer, äußerlich schon so oft abgewaschen, klebte immer noch an meinen Händen, pulsierte süßlich rot und rann durch meine Finger. Tiefes Rot, leuchtend und frisch wie am ersten Tag. Ich versuchte krampfhaft die Ruhe zu bewahren.

"Ti-Tineoidea...?", fragte ich vorsichtig, aber sie hatte das Gesicht in den Händen vergraben und gab keinen Laut von sich.

"Habe ich dir weh getan? Entschuldige, i...ich wollte das nicht!" Den Reflex sie zu umarmen unterdrückte ich krampfhaft.

"Ich glaube ich werde ein bisschen frische Luft schnappen..." Auf dem Weg zur Tür hob ich meine Augenbinde auf und band sie mir um.

"Du wirst nie mehr in diese Dunkelheit fallen, ich verspreche es...", murmelte ich unverständlich vor mich hin.


Akt 9


"Baut eure Häuser aus totem Holz.
Baut eure Mauern aus totem Stein.
Baut eure Träume aus toten Gedanken.
Kommt das Leben weinend, lachend, singend wieder, nehmen wir was ihr gestohlen und ziehen euren toten Knochen ihre kranken Häute ab."

Früher hätte ich es nie gewagt ein heidnisches Zitat von mir zu geben, das hätte all meinen hammeritischen Idealen widersprochen. Aber nun war ich freier, stärker, so kam es mir vor. Aber doch...
Ich streckte meine Arme aus, schloss die Augen und spürte den kalten Wind der an meinen Kleidern zerrte und mir ins Gesicht blies.
Wie gerne hätte ich geweint. Aber ich konnte nicht. Tineoideas Anblick beschwor Verzweiflung in mir herauf. Wie konnte ich nur? Ich wollte ihr doch nicht weh tun...
"Es ist zu spät, oder? Ich kann das alles nicht mehr rückgängig machen...oder?"
Der Wind antwortete. Er flüsterte mir geheimnisvolle Worte ins Ohr deren Sinn ich nicht verstehen konnte...zumindest jetzt noch nicht.
"Ich will sie doch nicht verlieren! Kann ich denn nichts tun...? Nein...denn ich, der Dämon bin es, der sie abschreckt..."

Mein Blick wandte sich zum Himmel. "Es gibt wohl keine Möglichkeit mehr dich los zu werden...wie auch, wir haben einen Deal." Ein grundloses Lächeln legte sich auf meine Züge. "Was sind das denn für Gedanken? Das alles kann einfach nicht umsonst gewesen sein..." Die Wolken über mir wurden dunkel und kündigten baldigen Regen an. Verzweifelt streckte ich meine Hände gen Himmel und schrie während die kalten Wassertropfen auf mich niedergingen.

Ich schrie:" Sieh hin, 'großer Erbauer'! Man hat mich, einen Diener an deiner Seite, hingerichtet! An meinen Händen klebt das Blut der Leute die dein Vertreter auf mich gehetzt hat, die DU auf mich gehetzt hast!" Der Regen wurde immer stärker und das einzelne Tropfen wurde zu einem Rauschen. "Das Blut an meinen Händen, wasch es ab, wasch es ab!" Zitternd versuchte ich meine Arme noch weiter zu strecken, als hoffte ich dort oben irgendetwas zu fassen zu bekommen, als Beweis, dass ich nicht umsonst hier stand. Zu meiner Verzweiflung mischte sich Zorn. Er gab mir keine Antwort.

"Du willst also nicht?!" Wütend riss ich mir mit einer Hand die Augenbinde herunter. "Sieh mich an! Du hast mich verlassen, oder? Sieh in meine Augen und antworte! ANTWORTE VERDAMMT!"

Und ich bekam eine Antwort, allerdings nicht vom Erbauer.

Zum letzten Mal in meinem Leben sollte ich die Stimme des Dämons in mir hören.

"Warum schreist du diesen Gott noch an? Gäbe es dort jemanden der dich hören könnte, so würde er dir das geben was du willst. Siehst du nicht? Regen kann Oberflächliches hinfort schwemmen, verbergen. Doch was du getan hast kann nicht vergessen gemacht werden. Erst wenn du alle deine Brüder, deren Kinder und Kindeskinder zu Grabe getragen hast wird es vergessen sein. Und selbst dann wird es immer noch deine Liebste wissen. Und auch wenn du sie getötet hast.. irgendjemand wird dich sehen und verraten, und alles beginnt von neuem, ein elender Teufelskreis. Also verkriech dich, bring dich um, flieh von hier.

Oder gib dich deinem Schicksal als reißende Bestie hin.

Du bist Abbaddon. Du stehst an einem Abgrund und du wirst dir nicht aussuchen können wie tief du fällst oder wie hart du aufschlägst. Aber du wirst wählen können wann du springst."

Schweigend verharrte ich. Meine innere, dämonische Stimme war verstummt, endgültig.

"Wer hätte jemals gedacht, dass ein Dämon mir mehr Worte der Weisheit schenkt als mein Gott.", sagte ich zu mir selbst. Ich konnte es mir also aussuchen. Entweder ich tötete meine Peiniger oder ließ sie weiter auf mir herumhacken. Es war eine erschreckend leichte Entscheidung. Ich ließ meine Arme sinken. Das Blut an meinen Händen schien geblieben zu sein, aber diesmal war etwas anders.

Es sang, ein aggressiver Chor in meinen Ohren.
Es rief, weit in die Welt hinaus nach Tod und gerissenem Fleisch.
Es verschlang und überflutete meine Gedanken.
Alles was ich sah färbte sich rot. Blutrot.

Ich hörte eine Stimme hinter mir, allerdings schien sie durch den Schleier aus Regen nur gedämpft hindurch zu dringen. Als ich mich umwandte standen zwei Kinder vor mir. Ängstlich deuteten sie auf mich, schrieen herum im Angesicht des Monsters das ich für sie war. Unbewusst fuhr ich mir mit der Zunge über die schmalen Lippen. Ich konnte die Schritte erahnen die sich mir näherten, meine Brüder die immer noch dachten sie könnten mich stoppen. Die beiden Kinder blieben weinend dort wo sie waren während ich mich ihnen nun näherte. Das einzige was in meinen Gedanken in den Vordergrund trat war Blut, Blut, Blut. Einen Moment dauerte es nur, dann griff ich beide Kinder um den Hals und drückte mörderisch zu.

Blut singt.
Blut ruft.
Blut verschlingt alles...


Akt 10


Der Regen war noch heftiger geworden. Die Nacht war bereits hereingebrochen und Tineoidea sprang sofort vom Bett auf, kaum hörte sie das Klopfen an der Tür. Als sie öffnete stand ich vor ihr, aber in welchem Zustand. Meine Kleidung war zerschlissen und voll mit geronnenen Blut, meine ausgebrannten Augen nicht länger von der Augenbinde verdeckt und frei sichtbar für jeden, mein Blick konfus, verwirrt...ich konnte selbst nicht genau sagen was mit mir los war.

Diesmal hatte ich alles mitbekommen. Ich war nicht in einen seltsamen Schlaf gefallen wie damals im Kloster, meine Gestalt war so wach gewesen wie noch nie als ich meine Opfer unter mir zerschmettert hatte.

Tineoidea schlug die Hand vor den Mund und stolperte nach hinten, konnte sich gerade noch so aufrecht halten. Verzweifelt stützte ich mich am Türrahmen ab und versuchte nur ein einziges Wort herauszupressen, aber es gelang mir nicht auf Anhieb. Wie ein bloßer Schatten meiner selbst starrte ich Tineoidea an und versuchte ihr mit einem weinerlichen Blick zu signalisieren, dass ich Hilfe brauchte. Aber das Entsetzen schien Tineoidea zu fest in den Knochen zu sitzen. "Bitte", dachte ich. "Bitte hass mich nicht."

Mit bebender Stimme und anklagendem Unterton sprach Tineoidea mich dann doch an. "Was hast du getan...was hast du nur getan..."

Ich dachte meine Lunge würde zerreißen als ich versuchte Antwort zu geben. "Tineoidea..."

"Du hast schon wieder getötet..."

"Es waren...Hammeriten...und....und..."

Meine Geliebte sah mich fragend und kühl an. "Was? Noch mehr Opfer?"

Stöhnend glitt mein Körper zu Boden. Das alles kostete mich zu viel Kraft. Ich fühlte wie mich eine Müdigkeit überkam die ich so noch nie gespürt hatte. Ein trockenes Schluchzen was das einzige was ich noch herausbekam. So lag ich am Boden, wie ein Kind das in den Dreck geschubst wurde, darauf wartend dass ihm jemand aufhalf. Tineoideas Züge verloren ihre Härte als sie erkannte wie sehr ich unter meinem Fluch litt.

"Es...war nicht deine Absicht, oder?"

Unter Qualen hob ich den Kopf und sah zu ihr auf wie sie es sonst tun musste und kam mir sogleich furchtbar winzig vor.

"Nur Kinder...verdammt...es waren doch nur Kinder!"

Tineoidea ging in die Knie und bedeutete mir ruhig liegen zu bleiben als ich versuchte mich gleich wieder aufzurichten.

"Du wolltest es nicht, oder?"

Kraftlos schüttelte ich den Kopf. "Ich...war so verzweifelt..."

Ich konnte nicht anders als mich an Tineoidea festzukrallen, sie schien mir in diesem Moment so fern wie noch nie.

"Ich...ich dachte ich würde dich verlieren!"

"Hör auf sowas auch nur zu denken!"

"Heirate mich! Heirate mich damit ich mir sicher sein kann dass du nie mehr gehst..."

Tineoideas Unsicherheit war ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Aber sie wusste wie wichtig es mir war. Ihr Blick wurde trüb, die Augen grau wie vom Nebel verschleiert.

"Wenn ich es tue...dann versprich mir nie mehr einen Menschen zu töten! Nie wieder!"

Es kostete mich Überwindung aber ich antwortete mit einem klaren 'Ja', obwohl ich ahnte dass der Blutdurst in mir, die blutigen Pranken die alles zerfetzten, nicht durch ein bloßes Versprechen aufzuhalten waren.


Akt 11


Es kam mir alles wie ein surrealer Traum vor. Ein Traum aus zusammengewürfelten Wünschen und Hoffnungen, vorangetrieben von naiven und närrischen Gedanken. Alles hatte diesen Hauch von Märchen an sich: Dem bösen Drachen waren wir schon entkommen, es fehlte nur noch das 'Und sie lebten glücklich und zufrieden'. Doch bis dahin war es noch ein langer Weg.



Komm, lass uns Prinz und Prinzessin sein. Ich sehe schon unser Schloss in der Sonne blitzen und die Illusion von ewiger Liebe wie eine Rose erblühen. Aber Schlösser zerfallen und Blumen welken...und das auch nur wenn sie vorher nicht gestorben sind.

Weder Ring noch Geschenke.
Kein Priester und keine Gäste.

Alles sollte so unauffällig wie möglich ablaufen. Niemand sollte davon erfahren, das Risiko des Verrats war mir zu groß. Es reichte mir schon mich überreden zu lassen nachts in eine hammeritische Kapelle zu schleichen, zwar würde es nicht die von St. Edgar sein, dennoch würde ich mich sicher sehr an vergangene Zeiten erinnert fühlen. Die Schwester von der mir Tineoidea in letzter Zeit immer öfter erzählte sollte heute gesegneten Wein und ein Kleid für den heiligen Ritus mitbringen. Ich hatte sie noch kein einziges Mal gesehen bis zum folgenden Tag.

Sie musste um meinen Zustand wissen und doch schien ihr bei meinem Anblick ganz anders zu werden. Als sie mit Tineoidea zur Tür hereinkam wurden ihre rehbraunen Augen starr und vor Schreck ganz weit, ihr zierlicher Leib schob sich hinter meine Geliebte so dass nur ein grauer, wirrer Haarschopf von ihr zu sehen war.

"Ihr braucht keine Angst zu haben. Er wird Euch nichts tun.", versuchte Tineoidea sie zu beruhigen. Als hätte ich einen Grund jemanden etwas 'zu tun'.

Ein hageres Gesicht schob sich an Tineoideas Schulter vorbei und sah mich angstvoll an, direkt in die Finsternis die meine Augen ersetzte. Ein gezwungenes Lächeln war das einzige was ich dieser für mich Unbekannten schenken konnte. Ihr ganzes Auftreten erinnerte mich ein dünnes, krankes Tier das nur wackelig auf den Beinen stehen konnte. Und solche Tiere wurden normalerweise vom großen, bösen Wolf gerissen. Diese Rolle war mir zwar zugespielt, aber im Moment sah ich keinen Grund auf Jagd zu gehen.

Wie gesagt - im Moment noch nicht. Und trotzdem hielt ich Vorsicht besser als Nachsicht egal wie klein die Gefahr sich zeigte.

"Das ist Schwester Eva. Sie hat mir geholfen dich zu befreien und dieses Versteck für uns besorgt.", erklärte Tineoidea und ich konnte spüren dass sie zu dieser Frau ein großes Vertrauen hatte.

"Dann muss ich mich wohl bei Ihnen bedanken, Schwester." Als sie meine Stimme vernahm zuckte sie ein weiteres Mal erschrocken zusammen. Nervös zupfte sie den Rock ihres langen, schlichtgrauen Kleides zurecht.

"Nein, nein, das müsst Ihr nicht! Es war das mindeste was ich tun konnte.", stammelte Eva.

"Aber Ihr habt uns sogar ein Hochzeitskleid besorgt." Strahlend holte meine Geliebte ein braunes Paket hervor. "Ein Hochzeitskleid. Ist das nicht wundervoll Abbaddon?" Es freute mich sie so glücklich zu sehen, so fröhlich war sie schon lange nicht mehr gewesen.

"Ich werde dann auch gehen Schwester Tineoidea. Es wartet noch viel Arbeit bei meinem neuen Herrn auf mich." Kaum dass jemand ein Wort des Abschieds herausbrachte war die ängstliche Frau auch schon aus der Tür. Verwundert schloss Tineoidea diese ab und setzte sich aufs Bett, das Paket immer noch in den Händen. Eine Weile schwiegen wir beide, dann unterbrach ich die Stille. "Willst du es vielleicht mal anprobieren?"

Tineoidea schüttelte den Kopf. "Ich will mir das alles für diesen einen Moment aufsparen. Für einen der wunderbarsten in meinem Leben."

Ich schloss sie sanft von hinten in meine Arme.

"Jaaaa, ein ganz besonderer Moment, das wird er auch für mich sein."

"Ich liebe dich Abbaddon."

"Ich dich auch...über alles."

Umso öfter die Turmuhr von St. Quintus läutete, desto aufgeregter wurde ich. Auch wenn dies hier nicht vergleichbar sein würde mit all den anderen Hochzeiten, auch wenn dieser Ritus hier unter keinem guten Stern stand und nichts an Ruhm und Glanz besaß, so würde es doch heute Nacht etwas besonderes werden. Tineoidea und ich, wir würden es schaffen, da war ich mir hundertprozentig sicher. Wer sollte uns jetzt noch aufhalten? Trotzdem sah ich mich immer wieder nervös in den alten Gemäuern um. St. Quintus mochte nicht so groß und pompös sein wie St. Edgar, doch das spielte keine Rolle. Ich hatte die weißen Kerzen auf dem Altartisch entzündet und wartete darauf dass Tineoidea aus einer der Kammern kam die für die Priester bestimmt waren und direkt am Seitenflügel angebaut wurden.

Alles bis auf die Vierung auf der der Altar stand war mit Dunkelheit überzogen. Ich hatte das mulmige Gefühl dass in ihnen etwas lauert, verharrte. Es konnte nichts menschliches sein, dafür verbarg es sich zu gut vor meinem dämonischen Spürsinn. Aber womöglich bildete ich mir das alles nur ein. Den Kopf schüttelnd trat ich hinter den Altar wo bereits eine Flasche mit dem gesegneten Messwein stand. Ich öffnete diese und goss einen Schluck in den dazugehörigen Kelch. Intensiv betrachtete ich den dunkelroten Trunk der noch einen Moment in seinem Behältnis hin und herschwappte bis er zur Ruhe kam und eine ruhige Oberfläche mein Gesicht spiegelte. Noch immer war der Anblick meiner leeren Augenhöhlen ungewohnt, doch schon längst nicht mehr erschreckend. Mir schien allein der Gedanke sich vor sich selbst fürchten zu müssen einfach absurd. Wie sollte jemand der nicht einmal seinem eigenen Anblick standhielt den Fratzen von Ungerechtigkeit und Schmerz die Stirn bieten?

Meine Gedanken wurden plötzlich unterbrochen, als ich etwas Ungewohntes wahrnahm. Während ich tief in den Kelch sah stieg mir ein seltsamer Geruch in die Nase, der von dem Wein zu kommen schien. Ich konnte nicht richtig deuten nach was er roch, der Duft war mir völlig unbekannt. Er war nicht beißend oder süß, roch weder unangenehm noch aufdringlich. Ich stellte den Kelch beiseite und hob die Flasche an um auch an ihr zu riechen. Auch hier bemerkte ich den fremden, unauffälligen Geruch. Einen Moment spielte ich mit dem Gedanken das Zeug wegzuschütten und den sowieso schon lückenhaften Ritus ohne ihn durchzuführen, da ich nicht scharf darauf war wegen einem vielleicht schlecht gewordenem Wein nach der Hochzeit flachzuliegen. Ich hob die Flasche an die Lippen und nahm einen Schluck.

Nein, der Geschmack war in Ordnung, nichts Auffälliges.

"Abbaddon!"

Erschrocken ließ ich die Flasche sinken und wirbelte herum. Tineoidea war aus der Kammer gekommen, und wahrhaftig, ich glaubte einen Engel zu sehen. Das enganliegende, schlichte Kleid in schneeweiß betonte ihren schlanken, zierlichen Körper perfekt. Sie hatte lange Seidenhandschuhe angezogen an denen sie, scheinbar auch aufgeregt, mit ihren dünnen langen Fingern herumzupfte. Ein wenig vorwurfsvoll blickte sie zu mir herüber.

"Sag bloß du bist gerade dabei dir Mut anzutrinken?", fragte sie in einem trockenen Ton. Ihre Haltung und ihr Blick wirkten verschüchtert, sie versuchte, es mit einer kühlen Zurückhaltung ihrer Begeisterung zu überspielen. Zu erstaunt von ihrer neuen Anmut konnte ich Tineoidea keine Antwort geben. Ich stellte eilig die Flasche beiseite und ging zu meiner Braut. Ich musterte sie noch einmal aus der Nähe. Einfach bezaubernd.

"Du...du bist einfach wunderschön..." Ein selten gewordenes Lächeln zeigte sich in meinem normalerweise ernsten Gesicht. Auch ihre Miene erhellte sich.

"Findest du wirklich?"

"Aber ja! Es ist wie für dich gemacht." Ich schob eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht und sah Freudentränen in ihren Augen schimmern. Sanft drückte ich sie an mich und streichelte ihr über den Kopf. Stumm vergrub sie ihr Gesicht in meiner Brust während ihre Finger sich in meinem schwarzen Gewand verkrallten.

Ich flüsterte ihr ins Ohr: "Hast du Angst?"

Sie schüttelte den Kopf. "Ich...nein. Es ist etwas anderes."

Besorgt ging ich in die Knie um ihr in die Augen sehen zu können. Dabei streichelte ich ihr tröstend über beide Arme. Tineoidea lächelte, jedoch wurde die Freude dieses Lächelns von ihrem traurigen Blick getrübt. Ohne dass ich nachfragen musste erzählte sie mir etwas was ich am Anfang dieser Geschichte schon einmal gehört, nicht im Geringsten ernst genommen und bitter bereut hatte.

"Ich hatte letzte Nacht einen Traum."

Mein Lächeln erstarb augenblicklich. Eine dunkle Erinnerung, verdrängt und unter tausend anderen Gedanken vergraben, schoss mir durch den Kopf.

...der Garten, im Kloster, das heimliche Treffen, Tineoideas unheilvolle Prophezeiung, der Anfang allen Unglücks...

Ich versuchte mich wieder zu fassen, starrte kurz zu Boden und dann wieder in die grauen, traurigen Augen meiner Braut.

"Was hast du geträumt? Hat es mit uns zu tun?"

Sie nickte stumm. Mir kam ein schrecklicher Gedanke nach dem anderen. Konnte jetzt wirklich noch etwas schief gehen?

Nein, nicht jetzt. Wieso auch, nur ein Traum. Es war nur ein Traum! Dieses eine Mal war nur ein dummer Zufall gewesen...

"Es war alles genau so wie jetzt..."

"Nein..."

"Ich kam zur Tür herein...schritt an den Bänken vorbei...die gefüllt waren mit gesichtslosen Schatten..."

"Hör auf...sei still..."

"Und genau an dieser Stelle hast du auf mich gewartet, doch nicht als der Mensch den ich liebe..."

"...sondern als den Dämon den du fürchtest, nicht wahr?", beendete ich den Satz für sie mit gesenkter Stimme. Tineoidea sah mich überrascht an.

"Woher..."

"...ich das weiß? Weil das seit meiner Brandmarkung jeder tut." Ich stand auf und wandte meiner Braut den Rücken zu. Sie sollte die unterdrückte Wut in meinen Augen nicht auflodern sehen.

"Seit ich unfreiwillig Wirt dieses Parasiten geworden bin glaubt das auch jeder...und seit ich mit dem Dämon eins geworden bin kann man ja wohl kaum bestreiten dass ich zu eben jenem Wesen wurde." Ich holte tief Luft und sprach nur zögernd weiter während ich mich umdrehte und Tineoidea einen flehenden Blick zuwarf.

"Aber du weißt doch...wer ich war, wer ich heute noch bin, oder?"

Tineoidea sah kurz zur Seite als sich unsere Blicke für einen Moment kreuzten.

"Aber natürlich...sonst wäre ich doch nicht hier."

Beruhigt lächelte ich meine Braut an.

"Dann lass es uns tun! Lass uns heiraten!"

Sie nickte und ihre Mine erhellte sich. Ja...es war nur ein dummer Traum."

Ich winkte Tineoidea stumm zu mir. Bereitwillig trat sie genau vor mich und ich gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn bevor ich mit dem Anfangsgebet begann.


"Der Erbauer sprach einst: 'Jeder von euch soll um sein Herz eine Festung errichten, auf dass nichts Böses in es eindringt.' Ich will dir heute mein Herz öffnen, auf dass meine Mauern dich schützen und meine Hände dich halten mögen.

Wenn ein Sturm aufkommt, werde ich deine Festung sein.

Wenn du ein Hindernis alleine nicht überwinden kannst, werde ich deine helfende Hand sein.

Wenn die Verzweiflung des Todes dich übermannt werde ich deine Stütze und dein Begleiter sein.

Dir gehört alles was ich bin, was ich war, was ich sein werde. Ich schwöre dir, dir beizustehen, in jeder Situation auf dieser Welt, ob goldene glückliche Zeit oder nachtschwarzer Lebensweg.

Mein Leben ist dein."

Ich hob den Kelch an die Lippen und nahm einen kleinen Schluck. Langsam wandte ich mich zu Tineoidea die nun direkt mir gegenüber neben dem Altar stand. Ich nickte ihr kurz zu und auch sie legte den Schwur ab.

"Auch ich schwöre dir immer an deiner Seite zu sein.

Wenn dir die Welt dunkel und trostlos erscheint will ich dein Licht sein.

Wenn Ungerechtigkeit und erbarmungslose Feinde dich zu zerschmettern drohen will ich neben dir stehen und standhaft bleiben.

Wenn du eines Tages nicht mehr sein solltest will ich dein Andenken in mir tragen, auf dass du nie in Vergessenheit gerätst.

Dir gehört alles was ich bin, was ich war und was ich sein werde. Ich schwöre dir, dir beizustehen, in jeder Situation auf dieser Welt, ob goldene glückliche Zeit oder nachtschwarzer Leidensweg.

Mein Leben ist dein."

Vorsichtig überreichte ich Tineoidea den Kelch. Als sie mir das Gefäß abnahm berührten sich unsere Hände für einen Moment ganz sacht. Mich überkam urplötzlich der Drang meiner Liebsten etwas zu sagen. Bevor sie den Kelch an die Lippen hob hauchte ich ein leises 'Ich liebe dich' in die Stille der Kirche hinein. Tineoidea lächelte und nahm einen Schluck von dem süßen Messwein,

als einen Moment später mit einem lauten Knall die Türen der kleinen Kapelle aufgestoßen wurden.


Akt 12


"Na sieh mal einer an! Ich wusste doch dass ich dich hier finden würde!" Im Halbdunkel des fernen Kerzenscheins konnte ich Cains heimtückisches Grinsen erahnen. Einen Moment lang waren ich und Tineoidea wie versteinert, komplett fassungslos. Mindestens 50 Hammeriten drangen in die Kapelle und umstellten uns. Tineoidea klammerte sich mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen an mich. Ich schloss sie schützend in meine Arme. Cain stolzierte durch den Mittelgang direkt auf den Altar zu. Sein Blick war wie immer herablassend, abschätzend, spöttisch. Wie hatte er uns gefunden? Und, was noch wichtiger war, wie sollten wir aus diesem Schlamassel wieder herauskommen?

Ein paar Meter vor uns blieb der Hohepriester stehen. Ich versucht die Hammeriten und ihn gleichzeitig im Visier zu behalten, was bei so einer Masse denkbar schwierig war.

"Wie ich sehe habt ihr eure kleine 'Teufelshochzeit' bereits vollzogen.", sagte Cain und klang dabei als gäbe es nichts Verabscheuungswürdigeres. "Mich sollte bei dir mittlerweile gar nichts mehr überraschen Abbaddon. Es war ja schon eine große Leistung mit dieser...kleinen Hexe zu entkommen."

Wütend löste ich mich von Tineoidea und machte einen großen Schritt auf den alten Mann zu.

"Lass sie aus dem Spiel! Nichts von alledem war ihre Idee!" Tineoidea packte meinen linken Arm. "Abbaddon! Bitte beruhige dich!"

"Sie hat recht Abbaddon. Auch wenn du jetzt ein Dämon bist, gegen so viele Leute kommst du nie an!" Cain ließ lachend den Blick schweifen. "Genug um dich und deine bestialischen Kräfte zu zerschmettern!" Ich spürte wie mein Blut kochte und meine Muskeln unmerklich zuckten. Mein ganzer Körper brannte darauf Cains großes Maul zu stopfen. Doch Tineoideas flehende Worte hielten mich zurück.

"Ich bitte euch Hohepriester Cain! Er mag ein Dämon sein, doch nicht weil er sich das so ausgesucht oder gar erhofft hätte! Das alles ist ein furchtbares Missverständnis!" Sie stellte sich vor mich und ging in die Knie. "Bei der Macht des Erbauers, habt Gnade!"

Cain würdigte sie keines Blickes während ich verwundert zu Tineoidea hinuntersah.

"Hör auf damit! Bei diesem Kerl brauchst du nicht um Gnade zu betteln, er wird sie dir nie gewähren!"

"Wenn er seinen Glauben vertreten will sollte er es." Meine Braut warf dem Hohepriester einen strengen Blick zu. "Seid Ihr eures Ranges würdig oder spielt Ihr nur mit Eurer Macht?"

"...jetzt reicht es mir aber, ich lasse mich nicht von einer solchen Göre verspotten!" Cain streckte seinen rechten Arm aus und gab jemanden hinter mir ein Signal. Ich konnte die Bewegung nicht schnell genug deuten, es war bereits zu spät als ich mich herumdrehte. Ein dumpfer aber kraftvoller Schlag traf mich an der Schulter und das Gewicht des Hammers riss mich zu Boden. Stöhnend blieb ich einen Moment liegen und spürte wie meine Knochen unangenehm knackten als ich mich nur minimal bewegte. Tineoideas Schrei allerdings ließ mich all das vergessen. Zwei breitschultrige Hammeriten mir finsterer Miene hatten sie an den Armen gepackt und zerrten sie weg vom Altar. Sie schrie und kreischte und ich war sofort wieder auf den Beinen. Zwei andere meiner ehemaligen Brüder stellten sich mir in den Weg, doch ich ließ mich davon nicht beirren. Zielsicher ging ich auf sie zu, bereit zu töten.

Ich hörte Tineoidea rufen: "Nein Abbaddon! Tu das nicht!"

Ihre Stimme holte mich schneller zurück auf den Teppich als ich es gebraucht hätte, denn ehe ich mich versehen hatte traf mich ein weiterer Hammer, direkt in die Seite. Röchelnd spuckte und hustete ich Blut während meine Rippen brachen und meine inneren Organe einen mächtigen Schlag abbekamen. Doch diesmal ließ ich mich nicht zu Boden reißen. Ich wankte ein wenig und stützte mich dann ganz auf meine noch gesunde Körperhälfte. Cain unterbrach den einseitigen Kampf für einen Moment.

"Das reicht! Stop!"

Er wandte sich an mich. „

Auch wenn du mein Schüler warst werde ich keine Gnade walten lassen! Also wehre dich oder du wirst sterben!"

Ich schüttelte den Kopf und wankte wieder leicht. Ein stärker werdender Blutgeschmack füllte meinen Rachen. "Ich werde dir nicht den Gefallen tun und wehrlos zu Grunde gehen. Aber ich werde auch garantiert keinen deiner Männer angreifen!"

Cain hob fragend eine Augenbraue und die listigen Augen blitzten auf.

"Tineoidea, ich will dich nicht traurig sehen, deshalb werde ich den Dämon bekämpfen der mich zum töten verführt! Ich weiß noch nicht wie, aber wir werden hier rauskommen..."

Tineoidea sah mich gerührt an. "Oh Abbaddon..."

Cains wütende Rufe zerrissen diesen Moment abrupt.

"Schluss jetzt! Setzt dem ganzen ein Ende!"

Wieder holte einer der Hammeriten mit seiner Waffe aus. Diesmal allerdings konnte ich ausweichen, auch wenn die Schmerzen, die meinen Körper schwer wie Blei machten, mich stark behinderten. Auch der zweite Schlag ging daneben und ich machte einige Schritte nach hinten um mehr Distanz zu schaffen. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich einen dritten Mann der sich aus der Masse direkt auf mich zu bewegte. Bevor er zuschlagen konnte, streckte sich mein dritter Arm aus dem Rücken nach seinem Hammer und warf ihn zurück. Doch schon kam der Rest des Mobs auf mich zu, die Waffen fest in den Händen.

Ich schloss für einen Moment die Augen.

"Es tut mir leid meine Liebe, aber ich glaube mir bleibt keine andere Wahl als-"

Ein kurzer Blick nach hinten zu meiner Angebeteten ließ mich schreckhaft meine Gedanken verwerfen.

Ich konnte sehen wie sie in sich zusammensackte, ganz plötzlich. Die zwei Hammeriten versuchten verwundert sie wieder auf die Beine zu ziehen, was nur schlecht gelang. Ihre Bewegungen wurden zaghaft und ihr Stand ließ erahnen dass sie sich nicht mehr lange auf beiden Beinen halten konnte. Ihre Augen hatte sie nur halb geöffnet, doch ich sah eine Angst, eine Frage in ihrem Blick. Was war mit ihr? Was war mit meiner Liebsten?!

Das war der letzte Gedanke den ich hatte bevor mich kalter Stahl genau am Kopf traf und zur Seite schleuderte. Wie ein Blitz der mich traf fuhr der Schmerz durch mich hindurch und zirkulierte in meinen Nerven immer wieder, immer stärker. Ich hatte für einen Moment das Gefühl, das Licht in der Kapelle würde irre flackern, und das Bild vor meinen Augen wurde immer verschobener und verworrener. Ich versuchte mich erneut so schnell wieder aufzurichten wie bei meinem ersten Schlag, doch mein Körper widersetzte sich mir. Ich konnte nicht einmal mehr mit den Gliedern zucke. Warmes Blut tropfte mir aus dem Mund, Ohren und Nase, floss die blasse Porzellanhaut hinunter und besprenkelte den Kirchenboden.

Tineoidea...?

Wo war sie? Wie ging es ihr? Was würden sie mit ihr anstellen?

Ich fühlte wie mein Herz stoppte und langsam erkaltete. Trotzdem wollte ich noch einen letzten Blick auf meine Braut erhaschen.

Es tut mir leid, das wollte ich alles nicht...Hammeriten stiegen über meinen leblosen Körper hinweg zu Cain. Noch nie hatte er so triumphierend, so königlich ausgesehen. Wie er dort stand, gekleidet in seinen fast schon herrschaftlich anmutenden Gewand mit dem gelb schimmernden Pelzbesatz. Die zwei Hammeriten die meine Tineoidea mit sich gerissen hatten traten in mein bis auf wenige Eindrücke beschränktes Sichtfeld. Mir stockte der letzte Atem als ich sie sah. Ihr Gesicht war fahl, ihr Körper zu schwach zum Stehen, eine Hand am Mund, die andere suchte nach Halt an einem der Hammeriten. Cain grinste höhnisch und ließ sich den Messwein bringen. Er schien höchst zufrieden.

Der Wein...der Wein...der...?

So war es also gewesen...Schwester Eva hatte uns nie helfen wollen, hatte uns nie das Glück gebracht...nur den Tod. Und du hast es geplant, Cain du Bastard. Plötzlich konnte ich es ganz genau schmecken. Das Gift diesem Bastard die Arbeit abnehmen sollte. Ich konnte es spüren wie es durch meine Organe tropfte, sie auffraß und zersetzte. Nein, nein, nein, nein. Nicht so, nicht so!

Mit einem Mal schien die Zeit still zu stehen. Die Welt um mich herum verharrte bewegungslos und auch mein Blutstrom schien wie vereist. Auf einmal aber fühlte sich mein Körper so seltsam leicht und beweglich an dass ich mich aufsetzen konnte. Alles in mir schien einen seltsamen Rücklaufprozess zu durchlaufen. Das Blut das sich vergossen hatte verschmolz mit mir und floss in den neuen Lebenskreislauf mit ein. Mir wurde speiübel und keinen Augenblick später spuckte ich ächzend und stöhnend alles aus was mein Körper für unwichtig hielt. Ich hatte das Gefühl alle meine Organe würden sich mit jedem Brocken Erbrochenem heben und senken als suchten sie sich ihren richtigen Platz. Grünliches, übel riechendes Sekret ergoss sich über den ganzen Boden und hing mir in dünnen Spuckefäden am Kinn. Mein ganzer Körper zitterte heftig, und ich wagte nicht mich aufzurichten, selbst als mein Brechreiz aussetzte. Vorsichtig hob ich den Kopf und sah Cain und die Hammeriten erstaunt und angeekelt auf mich herabblicken. Langsam wischte ich mir den Mund mit meinem Ärmel ab und erhob mich.

Ich konnte Tineoidea nicht sehen.

"Wo...ist...sie?" Meine Stimme klang heißer und kratzig.

"Wie konntest du das überleben?! Warum wirkt das Gift nicht?" Cain sprach diese Worte mit einer ernsthaften Verblüffung aus, ein Charakterzug den ich von ihm nicht kannte.

Aber das war jetzt nicht wichtig.

"Wo...ist...meine Tineoidea?!"

Ein Hammerit machte einen Schritt zur Seite. Dort lag sie auf dem Boden.

Tot.

Oder...doch nur ohnmächtig?

"Wie konntest du das nur tun!", fauchte ich mit unmenschlicher Wut an Cain gewandt. Der Hohepriester sah mich schockiert und mit versteinerter Miene an. Seine Untergebenen hoben ihre mächtigen Hämmer, bereit für ihren Gott zu kämpfen und für ihren Meister zu sterben.

"Lasst mich zu ihr!" Ich schenkte den Menschen um mich herum schon längst keine Aufmerksamkeit mehr, versuchte das Hindernis zwischen mir und meiner Tineoidea einfach zur Seite zu stoßen. Doch sie wollten es nicht zulassen, hielten mich fest und wollten mich erneut gen Boden schleudern um auf mir herumzutrampeln bis nichts mehr von mir übrigen bleiben würde.

Doch sie waren zu weit gegangen, also würde ich es ebenfalls tun.


Akt 13


Ein Hammerit stellte sich mir höhnisch in den Weg und packte mich an der Schulter. Ich wandte meinen vor Wut sprühenden Blick zu ihm. Kannte ich dieses Gesicht? Schon möglich. Alle die um mich herumstanden um sich meinen Kopf zu holen waren einst meine Brüder gewesen, ja, vielleicht sogar so etwas wie Freunde. Doch so sehr ich es versuchte, ich erkannte nichts davon in ihnen wieder. Ich blickte zu der starken Hand die meine Schulter umfasste.

"Lass los, oder es wird ein Unglück geschehen.", warnte ich mein Gegenüber ohne ihn anzusehen.

"Das hättest du wohl gern, Dämon!" Mit der freien Hand zog dieser bereits seine Waffe während er noch sprach, bis ihn ein bestialischer Schmerz an seinem anderen Arm ablenkte.

Ich hatte mich mit meinen Zähnen und Fingern so fest in seine Hand gebohrt dass ich bereits nach kurzer Zeit Blut schmecken konnte und es in rauen Mengen auf den Boden tröpfelte. Der Hammerit schrie panisch auf, konnte sich vor Schmerz nicht auf seine Waffe konzentrieren. Hastig wollten ihm seine Kameraden zur Hilfe eilen, doch meine zusätzlichen Arme hielten sie von mir fern indem sie immer wieder nach den Umstehenden schlugen, kratzten, schnappten. Ich begann langsam mich von meinem Opfer zu lösen das mittlerweile so herzzerreißend laut schrie dass man es mit Sicherheit draußen vor der Kapelle mitbekam. "Du verdammtes - !" Weiter kam er nicht bevor sich meine Hand, krallenhaft verkrümmt, in sein Brustfleisch und seine Muskeln vergrub. Entsetzte Ausrufe aus dem Hintergrund wurden laut und alles wich einen Schritt zurück. Immer tiefer grub ich mich in seinen Körper, bis mein kompletter Unterarm in ihm steckte, die Rippen und Gedärme ertastete. Ein Schwall Blut schwappte aus dem Mund des nur stammelnden, zuckenden Kriegers, dessen Augen sich verdrehten bis nur noch das rot geäderte Weiß zu sehen war.

"Niemand", begann ich zu flüstern und grub meine Finger in das warme, weiche Herz, dass unter meinem Griff unregelmäßig im Lebenskampf pochte, "stellt sich zwischen mich und meine Tineoidea!" Meine Stimme wurde von Wort zu Wort lauter, wütender und hallte bedrohlich von den Wänden wieder. Mit einer massiven Kraft riss ich mein Opfer von innen her auf, brach die Rippen unter der Wucht als ich den Arm im Körper wieder zu mir zog und damit den kompletten Brustkorb auf der Vorderseite in Stücke riss. Eine Fontäne aus Blut, herausschwappenden Innereien, zersplitternden Knochen und losen Muskelsehnen verteilte sich auf dem Kirchenboden, besudelte Säulen, Bänke, und den Altar. Auch ich wurde mit der blutigen Masse bespritzt. Unweigerlich verzogen sich meine Mundwinkel zu einem stillen Lächeln.

"Wie leicht ich mit anderen kurzen Prozess machen kann...wie leicht sich mit ihren Leben spielen lässt...", dachte ich und eine grimmige, kranke Zufriedenheit überkam mich. Die nächsten Momente, und alles was in ihnen geschah, wurden nur von einer Sache beherrscht: Der Gier nach Rache.

"Sieh gut her, Cain.", dachte ich während die nächste arme Seele versuchte mich aus dem Hinterhalt anzugreifen. Ein unheimlicher kräftiger Schlag von meiner Linken zertrümmerte ihm mit einem lauten Knacken den Kiefer und er stolperte unbeholfen soweit nach hinten bis er über eine Bank fiel und bewegungslos liegen blieb.

"Du wolltest aus mir einen mächtigen Mann machen, der im Dienste des Erbauers steht..." Noch ein Hammerit, noch einer und noch einer liefen mir in die Arme und nach diesen kamen noch mehr. Eine scheinbar unerschöpfliche Armee, nur dumm dass das Monster gegen das sie kämpften mindestens genauso standhaft war.

"Oja Cain, ich bin zu einem mächtigen Mann geworden..." Ich brach Kiefer mit der bloßen Hand, zerfetzte ihnen die Gesichter, erschlug sie mit ihren Waffen oder zertrümmerte ihnen damit die Beine.

"Aber eins werde ich nie sein..."

Der letzte Krieger von 50 zappelte panisch als ich ihm die Luft abdrückte, die spinnenhaften langen Finger um seinen Hals geschlungen wie festgeschmiedet.

"Nie wieder werde ich ein Diener sein, nie wieder. Weder für dich noch für sonst jemanden." Wie einen nassen Sack ließ ich den erwürgten Krieger fallen.

Da stand er, der arme alte Narr. Mitten in den Leichen seiner Marionetten, dessen Fäden er so fleißig gezogen hatte. Jedoch ist der beste Puppenspieler ohne Fäden nichts wert, und genau diese hatte ich bei dem Massaker gekappt. Mit entsetzlich weit aufgerissenen Augen und einem verständnislosen Stammeln auf den Lippen versuchte Cain zum Ausgang zu hasten, stieg dabei immer wieder in Blutlachen oder auf tote Körper. Einen Moment lang ließ ich diesen Anblick auf mich wirken der so eine makabere Ästhetik ausstrahlte die ich als Mensch, als Schwächling, sicher nicht verstanden hätte. Und doch durfte ich nicht vergessen dass ich noch eine Aufgabe hatte.

Blutige Rache an meinem Peiniger.

"Bleib stehen, Cain!" Natürlich hörte er nicht auf mich, tapste weiter Richtung Ausgang. Während seine Bewegungen hektisch und unsicher waren, ging ich gemächlich und ohne Beachtung der verstümmelten Leichen auf ihn zu.

Ich hatte Zeit.

Selbst wenn der Narr entkommen konnte, ich würde seine Fährte aufnehmen wie ein Bluthund. Er stolperte über einen umgekippten Kerzenleuchter den er in aller Panik übersehen haben musste. Keuchend verharrte er einen Moment, bis ihm bewusst wurde dass er zwischen Leichen, Knochen und Blut lag, und ich ihm immer noch im Rücken saß. Abrupt wollte er aufspringen und zum Ausgang der nicht mehr weit entfernt war, als ich mich Cain in den Weg stellte.

"Aber was tut Ihr da, Hohepriester?" Das letzte Wort sprach ich mit besonderem Spott in der Stimme aus. "Wollt Ihr etwa flüchten? Wartet Ihr nicht auf die Hilfe des Erbauers?"

"Hüte deine Zunge, du unwürdiges Wesen!", schrie Cain mir ins Gesicht. Diese Dreistigkeit, selbst jetzt im Angesicht des Todes noch zu versuchen mich herabzustufen, ließ meine Wut weiter aufkochen.

"...aber habt Ihr denn aus all dem hier nichts gelernt?!", fragte ich in einem eiskalten Ton. "Seht Ihr denn nicht ein dass Euer Gott Euch nicht schützen wird?" Cain sah mich mit so einer entfesselten Wut an, die mich stark verwunderte.

"Du bist ein Narr Abbaddon! Ein blinder Narr der sich ohne Sinn und Verstand in das Verderben reißt!"

Ich ballte meine Hände zu Fäusten"...was sagt Ihr da?!"

"Diese ganze Geschichte hätte umgangen werden können. Du hättest niemanden töten müssen, Tineoidea wäre auch noch am Leben, hättest du dem Erbauer nicht abgeschworen!"

"Was bitte Cain, hätte mir dieser falsche Glaube genützt?", fragte ich trocken. "Ich wurde jahrelang von deinen Lügen darauf getrimmt einem Trugbild zu folgen das mir nie geholfen hat. Nie." Ich ging zu Cain, packte ihn unsanft am Kragen und hob ihn brutal auf meine Augenhöhe hoch. "Oder sind diese ausgebrannten Augenhöhlen etwa ein Geschenk des Erbauers?!"

Der Hohepriester schloss die Augen in seinem angestrengten, zerfurchten Gesicht. Er brabbelte etwas in einem Singsang, der mir von meinen eigenen Gebeten von früher sehr bekannt vorkam. "Was redest du, alter Mann?" Ein erschöpftes, aber dennoch höhnisches Lächeln zeigte sich auf den blutleeren Lippen.

"Ich habe dir nur einen Gefallen getan. Wegen deinen Augen meine ich. Denn wer Augen hat den Ruhm des Erbauers zu schauen, ihn aber nicht sieht, der soll sie sich herausreißen...so steht es in den Schriften."

"Es reicht!" Ich ließ Cain zu Boden fallen. "Du willst mir doch nicht erzählen dass das alles nur zu meinem Wohl geschehen ist?!" Ich verpasste dem Alten einen Tritt in den Rücken. Er ächzte laut, versuchte aber nicht aufzustehen oder weg zu kriechen. War das sein menschlicher Stolz der ihn so standhaft machte?

"Ich will nichts mehr hören!" Ich trat noch ein zweites Mal zu.

"Du hast meine Träume zerstört! Die einzigen Dinge die noch frei waren!" Der Hohepriester gab schon längst keinen Laut mehr von sich, doch ich konnte nicht aufhören bis jeder seiner Knochen unter meinen Füßen zermalmt worden war.

"Diese ganze Welt ist krank! Ihr vergiftet sie mit euren fanatischen Phrasen, droht ihr mit Dämonen und bösen Geistern!" Keuchend ließ ich einen Moment von ihm ab. Diese hasserfüllten Worte kosteten mich viel Kraft."...dabei seid IHR die Parasiten!" Meine Stimme hallte bedrohlich von den Wänden wieder. Ein seltsamer, grünlicher Nebelschleier drang durch die Kirchentür herein, allerdings schenkte ich ihm keine große Beachtung. Nachdem ich laut schnaufend eine Minute verharrte ordnete ich meine Gedanken.

Akt 14



Und mir liefen kalte Schauer über den Rücken.
Cain...tot.
Meine Brüder...zerschmettert.
Die Hochzeit...ein einziges Blutbad.
Der Wein...vergiftet, und ich Dummkopf hatte es nicht bemerkt!
Ich hörte wie sich neben dem Altar etwas regte.
Konnte das sein...? War das nicht...?

"Tineoidea!" Mit schnellen Schritten lief ich auf sie zu während sie unter stummen, scheinbar mehr als schmerzvollen Anstrengungen versuchte sich aufzurichten. Doch sie schaffte es nicht, das Gift ließ sie zurück zu Boden sinken. Eilig ging ich neben ihr in die Knie und wollte sie in meine Arme schließen.

"Nicht...", presste sie hervor. "Du machst das Kleid schmutzig..." Ich sah ihr irritiert in die leeren, nur noch halb geöffneten Augen. "...du bist doch voller Blut...das bringt doch Unglück...wenn das Brautkleid-" Ein heftiger Hustenanfall unterbrach Tineoidea. Dünne Blutfäden spritzten auf den Boden neben ihr. Hilflos sah ich zu wie sie geschwächt dort auf den Fliesen lag, immer noch weiß und unbefleckt wie ein Engel. Ich beugte mich über sie, berührte ihr Gesicht mit den blutbefleckten Händen, hatte das Gefühl innerlich zu zerreißen.

"Nein...bitte...Tineoidea...!"

"Du hast alle getötet...und dein Versprechen gebrochen...aber es ist okay Abbaddon, es ist okay..." Fassungslos ließ ich ihre Worte in mich eindringen. Während ich langsam begriff dass es tatsächlich nur meine Schuld gewesen war das alles so eskaliert war, starrte ich in die Leere und die Dunkelheit. Jetzt spürte ich keine Geborgenheit, keine Sicherheit mehr von ihr ausgehen. Mir war einfach nur kalt...

Schockiert zerriss ich die eingekehrte Stille mit meinem Betteln und Flehen. "Tineoidea! Du darfst nicht sterben, bitte!" Wieder berührte ich ihre immer kälter werdenden Wangen. Sie war so schwach dass ihre Antwort nur noch ein Hauchen war. Und während sie sprach hob auch sie die zarte Hand und berührte auch mein blutverschmiertes Gesicht. Sogleich umfasste ich ihre zarten Finger die noch immer so viel wärmer waren als meine, trotz dass sie dem Tod so nah war.

"Deine Augen sehen aus wie zwei Glühwürmchen." Sie kicherte leise. "Ich habe mich geirrt...deine Augen sind etwas ganz besonderes." Tineoidea krümmte sich unter Schmerzen. Mein Blick ruhte starr auf ihr. "Was redest du denn da? Tineoidea!" Ihre Hand entglitt meinen Fingern. Ihre schmalen Lippen verzogen sich zu einem melancholischen Lächeln. "Ich hab dich sehr lieb Abbaddon..."

Der Moment in denen Tineoidea die Augen schloss beschwor den Drang in mir zu weinen, doch ohne Augen konnte man keine Tränen vergießen. Hilflos beugte ich mich über sie, flehte und bettelte sie solle doch wieder aufwachen, flüsterte ihr ins Ohr wie lieb ich sie hatte, wie sehr ich sie liebte.

"Es ist doch vorbei, wir haben es geschafft! Warum musst du trotzdem gehen...?"

Ich nahm Cain seinen königlichen Mantel ab und wickelte Tineoideas zerbrechlich wirkenden Körper in den warmen Stoff ein. Behutsam hob ich sie hoch und drückte sie an mich. "Es tut mir so leid Tineoidea. Es tut mir so leid!"

Sie wandte ihr Gesicht von mir ab, langsam, vorsichtig, und warf lächelnd einen Blick auf den Altar der Kirche, der umsäumt war von den blutigen, zerfetzten Körpern der Hammeriten.

"Siehst du das Abbaddon?" Sie deutete auf etwas, was aus einem der Kadaver direkt auf den Steintisch des Altars geflogen kam. Mit kleinen, silbernen Flügeln die das durch die hohen Fenster einfallende Licht reflektierten, tänzelte eine Motte durch die Luft. Aus den dunklen Ecken kamen noch mehr und ich fragte mich ernsthaft ob sie von dem Blut meiner Opfer angelockt wurden. Wir beobachteten den Tanz der flatternden Wesen sehr lange, stundenlang, so kam es mir vor. Zusammen mit den grünen Nebelschwaden die immer noch von draußen hereinkamen wirkte all das hier wie ein wunderschöner, wenn auch etwas makaberer Traum. Zudem bildete ich mir ein im Hintergrund eine Melodie zu hören, gespielt von einer Flöte oder vielleicht auch vom Wind selbst. Ich lauschte ihr und schloss dabei die Augen. Immer noch drücke ich meine Geliebte an mich. Sie war mit einem Lächeln auf den Lippen von mir gegangen, in einem Augenblick der trotz all der Qual nicht schöner hätte sein können.


An einem anderen Morgen, einem anderen Tag war alles ganz anders. Mich umgab ein kalter Windhauch, Blumenduft und das Gelärm der Leute. Ich zog meine Kapuze tiefer, den buschigen Federbesatz des Mantels höher. Nichts erinnerte mehr an den Vortag, nichts mehr an das Massaker. Im Getümmel der Stadt ging jeder seiner Arbeit nach, Hammeriten, Händler, Viehtreiber und die städtischen Wachen.

Ich selbst besah mit einem kritischen Auge einen stolzen schwarzen Hengst. Ich achtete immer darauf das Gesicht so gut wie möglich verdeckt zu halten, aus Angst erkannt zu werden. Es war wohl nur noch eine Frage der Zeit bis die Morgenmesse begann und spätestens dann würde meine Gräueltat die ganze Stadt erschüttern. Die dunklen Augen des Tieres fixierten mich, als wüsste es ganz genau dass ich anders war als die anderen Menschen. Zögerlich holte ich einen braunen Beutel unter meinem Gewand hervor. Ich reichte ihn dem Pferdeverkäufer der die klirrenden Münzen darin in Augenschein nahm. Dann übergab er mir den Hengst der unruhig herumtänzelte. Ich hatte im Kloster nur sehr wenig Möglichkeit gehabt das Reiten zu lernen und zu üben, aber das wenige musste reichen. Ich führte das Pferd durch die verschlungenen Gassen der Stadt die ich immer nur schemenhaft wahrnehmen konnte als ich noch hinter den Mauern von St. Edgar lebte.

Mir wurde mulmig im Magen. Die Leute sahen mich an, wohl wegen meiner riesenhaften Gestalt und dem doch sehr edlen Rappen der mir folgte. Kurz vor dem Stadttor blickte ich noch einmal zurück. Die Turmuhr schlug zur Messe, die Kirchenglocken läuteten. Leb wohl Tineoidea.

Leb wohl.

Etwas umständlich setzte ich mich auf das Pferd und kehrte meiner Heimat, die mir nun nichts mehr bedeutete, den Rücken. Gleichzeitig hörte ich gellende Schreie vom Kirchhof bei St. Quintus.

Diejenigen, die an diesem Tag zur Messe gingen würden auf dem Friedhof ein frisch gemachtes Grab vorfinden. Dort sollte Tineoidea liegen und Ruhe finden, auch wenn niemand außer mir dort trauern würde. Cain und Eva, die uns das Gift mitsamt dem schönen Kleid gebracht hatten das ich nun in einer Tasche bei mir trug, wollte ich ebenfalls ein angemessenes Ende bereiten.

All ihres Besitzes beraubt, so wie sie es mir angetan hatten, legte ich sie zum Sonnenaufgang auf den Kirchhof, durchtränkt mit ihrem eigenen Gift zu den Füßen ihres Gottes. Seine Statue lächelte sie gütig an, unter den panischen Rufen seiner Untergebenen.

___________
__________________
________________________
Nie wollte oder sollte es so werden
Wie es jetzt ist
Doch alles konnte, musste so geschehen
Denn wir waren dumm und töricht
Und haben nicht auf uns, sondern unseren Gott geachtet
Doch sollten wir nicht lieber egoistisch sein?
Denn Gott achtet nur auf die, die nützlich sind
Mich hat man weggeworfen wir ein kaputtes Ding
Aber ich habe mich an der Kante zum Abgrund festgehalten
Denn ich will noch nicht springen, noch nicht fallen
...
...zerfallen...

ABBADDON


"Wenn du zu lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein." -Friedrich Nietzsche
http://www.sabaku-gallerys.de.tl
http://www.youtube.com/user/Sablexful


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