The Forum

Tilina sass auf einem Stück Holz unweit des Dorfes. Vor etwa einem Jahr hatten die Männer des Dorfes dieses Gebiet erschlossen und durch die Energiekugeln vor den Kreaturen der Finsternis beschützt. Nun besass Ikalon auch einen kleinen Wald, in dem sie sich erholen oder Holz besorgen konnten. Es war ein sehr ruhiger Wald, in dem zwar keine Tiere lebten, aber immerhin Pflanzen.
Tilina war gerne hier, hier war sie oft alleine. Die anderen Bewohner mieden diesen Ort, weil er für sie zu wenig sicher war, aber Tilina konnte hier in Ruhe trainieren. Ganze zwei Jahre waren vergangen, seit dem sie den Engel getroffen hatte. Sie wusste nicht, ob er jemals wieder zurückkommen würde oder wann es sein könnte. Zu gerne würde sie ihn doch wiedersehen! Sie hatte so viele Fragen an ihn und so vieles, dass sie ihm sagen wollte. Aber während diesen beiden Jahren hatte sie kein Lebenszeichen vom Engel erhalten und manchmal fragte sie sich gar, ob sie sich nicht alles eingebildet hätte.
Nein, sie konnte es sich gar nicht eingebildet haben. Zu real waren ihre Erinnerungen. Und inzwischen war es ihr auch egal, ob er wiederkommen würde, jedenfalls oberflächlich betrachtet. Hier, in dem neuen Wäldchen des Dorfes, hatte sie die Kunst des Schwertkampfes erlernt. Zwar besass sie zugegebenermassen kein Schwert, aber sie hatte einen grossen und schweren Ast führen gelernt. Und schwerer als dieser Ast konnte ein Schwert nicht sein. Sobald sie an ein Schwert käme, würde sie das Dorf verlassen. Je länger je mehr hatte sie das eintönige Leben in diesem Käfig satt. Sie wollte die Welt sehen und die Wahrheit. Die Wahrheit über die Göttin. Wovon hatte der Engel genau gesprochen? War die ganze Kultur ihres Volkes am Ende auf einer Lüge aufgebaut? Sie musste es endlich wissen!
Elanvoll stand sie auf und nahm einmal mehr ihren grossen Ast zur Hand, mit dem sie gezielte Hiebe übte. Sie beherrschte es inzwischen ganz gut.
Etwas später setzte sie sich wieder erschöpft hin. In letzter Zeit liess sich sich öfters gehen, obwohl sie schon bald aufbrechen wollte. Sie hatte sich schon eine Reiseroute zusammen getragen. Ihr Wissen über die Umgebung hatte sie in den letzten beiden Jahren sehr stark vergrössert - auch mit Hilfe des alten Priesters, der leider noch immer lebte. Sie würde sich gen Osten durchschlagen. Dort gab es grössere Siedlungen hatte man ihr gesagt. Vielleicht fände sie dort jene Antworten, die ihr in diesem verschlafenen Kaff verwehrt blieben.
Tilina hatte sich gerade entschlossen das Wäldchen zu verlassen, als sie plötzlich Schritte hinter sich hörte. Etwas ängstlich wandte sie sich um und erhob ihren Stock. Sie hatte allerdings keinen Grund dazu, wie sich gleich zeigen würde.

Kirin trat aus den Schatten der Bäumen hervor. Seine Lippen wurden von dem gleichen sanften Lächeln wie vor Jahren umspielt und sah sie mit dem selben klaren Blick an. "Du führst den Ast viel zu unsicher auch wenn du ihn gut beherrschst." Seine Stimme klar und ruhig, wie sie es in Erinnerung hatte. "jedoch ist dieser Ast viel zu leicht." Tilina wollte protestieren, als er seinen Umhang zurück schlug und ein Schwert zum Vorschein kam, ein zweites um genau zu sein. Kirin warf ihr eins der beiden zu und das Mädchen bemerkte, dass die Klinge wirklich um vieles schwerer war. Erst jetzt fiel ihr auch die Klinge genau auf. Dieses Schwert war anders als das der Soldaten.

Das Schwert glänzte silbern und besass viele schöne Verzierungen wie zwei Rosen bei dem Handschutz. Und beim Griff leuchtete sogar ein kleiner, orangener Edelstein auf. Womöglich war es ein magischer Stein.
Sie lächelte und fuchtelte mit dem Schwert herum. "Welch schöne Klinge", sagte sie schliesslich und blickte den Engel dankbar an.
Kirin jedoch richtete sein Schwert auf sie und meinte: "Zeige mir, was du gelernt hast."
Dies brauchte er kein zweites Mal zu sagen. Tilina schlug mit ihrer ganzen Kraft und das Schwert mit beiden Händen umklammernd auf seine Klinge. Es klirrte laut, aber Kirin bewegte sich keinen Milimeter. Es schien, als könnte er ihren Schlag locker weg stecken.
"W-Was?", fragte Tilina zugleich verwirrt und empört. Nun hob der Engel seine Klinge langsam an und sagte ruhig: "Es bedarf mehr als nur zwei Jahre Training um einen Engel zu bedrängen." Er holte aus und schlug auf ihre Klinge, die sogleich davon flog und im trockenen Boden stecken blieb.
Tilina wandte sich um und ging zu dem Schwert. Das war einfach nicht fair! Sie hatte so lange und auch sehr hart trainiert und dies war das gesamte Ergebnis?

"Du hast die Grundlagen." meinte er ruhig, als hätte er ihre Gedanken gelesen. "Jetzt wird es Zeit Weiterzugehen." Er forderte sie auf das Schwert erneut zu erheben. Dieses mal ließ er sie wieder angreifen, jedoch parierte er sie erneut mit Leichtigkeit. Er erklärte ihr jede Bewegung, jede Drehung. Er forderte sie auf auf ihre Beinarbeit zu achten und, dass sie nur eine Hand bald brauchen würde um das Schwert zu führen.
Der Mond stand hoch am Himmel, als Tilina erschöpft auf die Knie sank. Kirin steckte seine Klinge weg, kniete vor ihr nieder und legte eine Hand auf ihre Schulter. "Du lernst schnell aber für heute ist Schluss. Du brauchst ruhe."

"Aber ich möchte jetzt noch nicht schlafen gehen", protestierte diese. Obwohl sie jetzt erschöpft war, war sie dennoch sehr fasziniert. Sie fühlte sich so, als hätte sie noch nie so viele Fortschritte gemacht in so kurzer Zeit.
"Ich ja auch Ruhe gesagt und nicht unbedingt schlaf", widersprach Kirin ihr ruhig. Sein Blick ruhte auf ihr, als er seine Hand wieder zurückzog.
"Warum, warum kommst du erst jetzt wieder?", fragte sie ihn fast etwas vorwurfsvoll.
Der Engel schwieg. "Es gab gewisse... Umstände."
Sie blickte ihn skeptisch an. Umstände? Was für Umstände?
"Es waren und sind komplizierte Umstände. Unsere Welt ist nicht so ruhig, wie du es ihr immer vorwirfst", belehrte er sie, ohne, dass sie eine Frage hätte stellen müssen.
Sie begann zu lächeln. "Gut... Und was ist genau mit der Göttin? Und ihr seid ihre Sklaven, oder?", fragte sie ihn neugierig. Sie hatte oft darüber nachgedacht, ohne wirklcih Anhaltspunkte zu haben. Seit zwei ganzen Jahren fragte sie sich immer wieder, was es mit der Göttin wirklich auf sich hatte. Sie konnte das Geheimnis nicht ergründen, nicht ohne Kirin.

Kirin schloss die Augen und seine Hände ballten sich kurz zu Fäusten. Diese Frage tat seiner Seele weh, denn er kannte die ruhigen Zeit vor der Göttin noch. Er sah zu Tilina und lächelte, jedoch hatte sein Lächeln etwas trauriges. "Um diese Frage zu beantworten... musst du erst das Schwert zu 100% beherrschen." Er setzte sich neben sie und sah zu dem Mond auf. "Ich lausche den Worten der Priester nie, kannst du mir daher sagen was man genau über die Engel sagt?"

"Na gut", meinte Tilina enttäuscht. Sie hatte sich schon so sehr auf die Wahrheit gefreut. Aber diese würde wohl noch lange auf sich warten lassen.
"Der alte Priester sagt uns immer, dass die Göttin sich einsam fühlte und daher ihre treuen Diener, die Engel erschuff. Die Engel waren ihr so dankbar für ihre Erschaffung, dass sie ihr als Geschenk einen Palast im Himmelsreich errichteten. Fortan lebten die Engel zusammen mit der Göttin in der himmlischen Welt und sie dienen ihr loyal und mit Liebe. Manchmal entsendet sie die Engel in unsere Welt, damit sie Aufträge ausführen. Meistens helfen die Engel dem Gemeinwohl und man sagt sich, dass die Engel die schönsten und klügsten Wesen im Universum sind. Und ähm... Er hat auch von dir gesprochen, Kirin. Er sagte, die Göttin hätte dich als erstes erschaffen und daher seist du ihren Lieblingsengel und würdest besondere Privilegien und Kräfte geniessen."

Er lächelte bitter. "Besondere Kräfte durch sie? Ja die habe ich aber nicht durch sie. Jeder Engel bekommt je nach seinen Taten und seiner Seele ganz eigene Fähigkeiten..." er seufzte leise."und ich war tatsächlich ihr Liebling... Ja ich war ihr Favorit und sie ging so weit, dass sie mir die Wesen entriss, die mir am Wichtigsten war." Eine Träne rannte über seine Wange und zersprang mit einem leichten Klirren, wie bei Glas, auf dem Boden. Tilina fragte sich wie eine angeblich so gütige Göttin so etwas grausames tun konnte. Sie wollte etwas sagen um ihn vielleicht irgendwie aufmuntern, als plötzlich Stimmen und Schritte zu hören waren.

"Wer ist da?", fragte eine brasche Stimme. Es war der greise Priester, mitsamt Gefolgschaft. Er blickte mit erzürnter Miene durch das Wäldchen und erblickte Tilina.
"Ah, Tilina! Was machst du denn hier? Du solltest längst im Dorf sein, bald beginnt das Ritual", tadelte er sie und ging auf sie zu.
Tilina, die sich umgewandt hatte, blickte wieder zurück und bemerkte, dass Kirin verschwunden war. Schon wieder... Sie seufzte und stand auf.
"Natürlich komme ich schon, wie könnte ich auch das Ritual zu Ehren der gnädigen Göttin verpassen wollen?", fragte sie leicht sarkastisch an den Priester gewandt, der ihren Unterton wohl nicht bemerkte.
"Gut so. Wir müssen uns sputen. Die Göttin wird sehr erfreut sein, dieses Jahr haben wir ihr viele Opfer zusammen getragen. Komm jetzt! Wir müssen zum Dorftempel", rief er und sie gingen zum Tempel. Der Himmel war wieder schwarz, nur der Mond am Himmel spendete etwas Licht.

Kirin war im Grunde nicht mehr als ein paar Schritte von ihr entfernt und lautlos folgte er ihnen. Er hatte vor dieses Ritual zu verhindern, denn dieses Mal sollte die Göttin merken, dass ihr so genannter Liebling ihr abhanden gekommen war. Der Engel zog die Kapuze tief ins Gesicht und mischte sich unbemerkt unter die Menschen. Seine Hand ruhte auf dem Griff seines Schwertes und suchte Tilina mit dem Blick. Wo war sie nur?