So 30. Mai 2010, 15:50
Part 2/2
Um ihn herum saßen seine Familienmitglieder. Sein Vater an der Spitze des Tisches, seine Mutter neben ihm. Neben Red seine beiden Brüder Maddy, ein Zauberer, der ebenfalls für die Krone kämpfte und Zoid, ein Söldner, der schon in jungen Jahren die Klinge zu meistern vermochte.
Maddy hatte mittlerweile fünfundzwanzig Winter gesehen und seine Ausbildung zum Zauberer abgeschlossen. Er war es, der Red heute zum Reich leiten sollte, um ihn dort ebenfalls zu einem Zauberer auszbilden.
Zoid, der schon zwanzig Winter gesehen hatte, ließ sich ein Jahr als Soldat ausbilden und kämpfte darauf zwei Jahre lang unter der Krone. Er dankte daraufhin ab, um sein weiteres Leben als Söldner zu verbringen.
An Red lag es nun den Weg des Zauberers zu gehen, wie es in Helias der Brauch war. Sein Vater erhob sich und breitete die Arme aus. „Meine Familie und Freunde.“
Angesprochene blickten auf und sahen zu ihren Lehnsherrn und Familienvater. „Heute ist ein bedeutender Tag. Heute“ er deutete dabei auf Red, der der Rede gleichgültig lauschte. „wird mein Sohn, euer Bruder und Freund, Red Liwer, aufbrechen und den Titel Red von Liwer antreten, so wie ich, Maddy und Zoid es unsererzeit getan haben.“
Zu allen Seiten entstand Beifall. Zoid klopfte ihm unvermittelt auf die Schulter. „Das ist Dein Tag, Bruder.“
War es das wirklich? Oder war es nur der Tag seines Vaters? Ein weiterer Tag, auf den er stolz sein konnte, da sein Name mehr an Einfluss gewann.
Seinerzeit war sein Vater ein großartiger Krieger gewesen. Ganze zwanzig Jahre lang diente er für die Krone, als ihn ein Schuss die Achilles Sehen durchtrennte und er für den Rest seines Lebens damit gepeinigt war, ein Krüppel zu sein.
So setzte er auch dieses mal seinen Gehstock auf den Boden und trat um den Tisch herum. „Mein Sohn. Heute ist der Tag, vor Deiner Abreiße. Ein letztes Mal sollst Du mit uns feiern, ehe Du aufbrichst glorreichen Tagen entgegen.“
Hunderte von guten Männern verloren bei zahlreichen Schlachten ihr Leben. Nur weil seine beiden Brüder und sein Vater länger überlebten als sie, waren sie in den Augen der Königin mehr Wert als die Gefallenen. Leere Titel trugen sie.
Sein Vater, zu Liwer, sein Bruder Maddy ebenfalls zu Liwer und sein anderer Bruder Zoid von Liwer, da er nicht lange genug für die Krone diente. Nun sollte auch er schon am morgigen Tage einen leeren Titel tragen, nur um der Welt zu beweisen, dass er ein wenig wichtiger war, als all die anderen, die dort draußen ihr Leben ließen...
Sein Vater griff nach seinen Schultern und küsste ihn auf die Stirn. „Ab heute bist Du kein Kind mehr. Ab heute bist Du ein Erwachsener, ein Mann, der bereit ist, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen.“
Ein Leben, welches er selbst in die Hand nehmen konnte... Er wollte kein Zauberer werden. Seit jeher war es sein Wunsch gewesen, so zu werden wie sein Bruder Zoid. Ein freier Mann, der selbst entscheiden konnte, für wen er unter welchen Voraussetzungen arbeitete.
Unvermittelt stand Red auf und entfernte sich von dem Tisch. „Ich danke euch, Vater... gewährt mir nun die Ruhe, die ich benötige.“
„Sie sei Dir vergönnt, mein Sohn.“ hob sein Vater stolz an. „Er hat das Wort gelernt... genauso wie es ein Zauberer zu führen vermag!“
Als Red den Raum verlassen hatte, erhob sich Maddy ebenfalls. „Ehrwürdiger Vater, gestattet mir meinem Bruder seelischen Beistand zu leisten, ehe er die Wege seines Schicksals beschreitet.“
Sein Vater nickte. „Es ist sogar mein Wunsch.“
Red rammte seine Faust auf den Tisch und atmete hektisch. „Das ist nicht fair!“
Er würde sich entscheiden müssen, von hier zu fliehen. Sein Bruder würde ihm sicher verzeihen können, bei seinem Vater war er sich nicht so sicher...
Aber er konnte es nicht. Er konnte kein Zauberer werden, das war nicht sein Wunsch gewesen. Es gab dort irgendetwas tief in seinem Inneren. Ein tiefer urtümlicher Gedanke, dass all das hier nicht das war, wofür er geschaffen war. Dass alles - dies alles hier - nur eine große Lü...
An seiner Tür klopfte es. Erschrocken drehte er sich zu ihr herum. „Ich wünsche Ruhe.“
Von draußen drang die vertraute Stimme seiner Schwester herein. „Ich bin es Bruder...“
Dango...
Er schritt unvermittelt auf die Tür zu und öffnete sie. Sie sah so aus, als hätte sie eine Menge Zeit gebraucht, um sich zu überwinden, anzuklopfen. Red erkannte, dass sie etwas vor ihm versteckte.
Er duckte sich zu ihr und sah in ihre großen Augen. „Was führt Dich zu mir, Schwester?“
Sie wankte ein wenig und sammelte dann ihren Mut zusammen, um ihm etwas zu geben. Als Red genauer hinsah, erkannte er eine aus Holz geschnitzte Sonne. Sie war das Zeichen Innis, der Göttin des Feuers, der Sonne und all der Wärme, die von ihr ausging.
Ungläubig nahm er das Stück Holz an sich, was an einem Band befestigt war. Sie war sehr glücklich, als er es um seinen Hals legte. „Das bringt Dir Glück!“
Sie würde ihn sehr vermissen, so wie er sie bereits vermisste. Sanft legte er seine Hand auf ihre weiche Haut und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Sie ließ es über sich ergehen und sah dann fröhlich zu ihn auf. „Du magst es!“
Er legte seine Hand auf ihren Kopf. „Glaubst Du, ich kann mein eigenes Schicksal finden?“
Sie nickte eifrig. „Du bist schlau und weißt, was Du willst.“
„Glaubst Du, ich sollte ein Zauberer werden?“
„Als Zauberer musst Du lernen, dass Du vieles Leugnen kannst, doch nicht das, was Dein Herz Dir sagt.“
Das sagte nicht Dango. Er blickte den Gang herab und erkannte seinen Bruder Maddy, der mit seinem Zaubererstab und seiner weiten roten Robe respektvoll vor ihm stand. Er lächelte ihm zu. „Als ich einst den Weg des Zauberers einschlug, lebte ich für diesen Traum. Es war mein größter Wunsch, der sich erfüllt hat.“
Dango grinste breit, als sie ihren anderen Bruder erkannte. „Maddy!“
Red allerdings erhob sich langsam und stellte sich ihm gegenüber. „Es war Dein größter Wunsch?“
Maddy nickte. „Damals flüsterte mir eine Stimme, dass es meine Bestimmung sei. Ich weiß nicht, woher diese Stimme kam, doch sie riet mir, diesen Weg einzuschlagen. Heute vermute ich, dass Innis selbst mir dazu riet.“
Red biss sich auf die Lippe. „Das wusste ich nicht...“
Maddy nahm Dango in den Arm, die auf ihn zugestürmt war. „Wir sind eine Familie, doch auch ich habe meine Geheimnisse, genauso wie Dango sie hat und Du.“
Dango meuterte einen Moment in seiner Umarmung und befreite sich von ihm. „Stimmt doch gar nicht!“
„Und was ist mit den Bogen, den ich gefunden habe?“ Er blinzelte ihr zu.
Erschrocken straffte sie sich und rannte sofort den Gang runter. Da Dango nach Kevin, auf die Welt kam, musste auch sie den Weg des Zauberers einschlagen. Kevin war zwei Jahre jünger als Red und somit verpflichtet den Weg des Kämpfers einzuschlagen, wie es seit jeher Brauch in der Familie der Liwers war.
Dass Maddy auf einen Bogen ansprach, bedeutete, dass sie sich nicht dafür entscheiden würde, ein Zauberer werden zu wollen.
Als Dango den Gang verlassen hatte, blickte Maddy nun um einiges ernster zu Red. „Bruder...“
Red schluckte. „Bruder...“
Eine zeitlang sahen sie sich an, als Maddy dann Tränen in die Augen stiegen. „Was ist Dein Weg?“
„Ich werde ein Meister der Klinge, wie unser Bruder Zoid.“
Maddy nickte. „Sowas habe ich mir bereits gedacht.“
Was meinte sein Bruder damit? Wie konnte er sich soetwas denken? Er hatte nie zuvor mit irgendjemanden darüber gesprochen.
Maddy holte tief Luft. Es schien so, als hätte er sich schon lange auf diesen Moment vorbereitet. „Wir haben gehofft, Du würdest Dich für den Weg des Magiers entscheiden, doch ich habe schon seit Du geboren wurdest geahnt... nein, gewusst, dass Du ein Krieger werden würdest. Ein Mann der Klinge.
Dein Herz liegt nicht in der Tradition unserer Familie, weil Du tief in Dir weißt, dass es noch mehr gibt, als nur diese Tradition. Stimmt es nicht, Bruder?“
Red schluckte, als er das aussprach, was er tief in seinen inneren jeden Abend vor sich führte. Er verschmähte die Tradition. „Wie...?“
Sein Bruder ging auf ihn zu. „Die Wahrheit ist, dass es wirklich mehr gibt, als nur diese Tradition und diese Familie... es gibt dort draußen eine ganze Welt.“
Auch wenn Maddy ihm etwas sagte, was jedes Kind wusste, fühlte er, wie er tief in seinem Inneren aufgewühlt wurde. So als verlange sein Geist nach einer Antwort auf eine Frage, die er sich selbst noch nie gestellt hatte. „Was gibt es dort draußen...?“
Maddy legte seine Hand auf Reds Schulter. „Dort draußen gibt es etwas, was Dir zeigen wird, wofür Du bestimmt bist. Etwas, was Dir zeigen wird, was Du tief in Deinem Herzen warst, bist und immer sein wirst.“
Red versuchte diese Worte zu verdauen. Aus dem ersten Impuls heraus fragte er: „Hast Du auch danach gesucht?“
Er schüttelte den Kopf. „Nein, es fand mich.“
Red erinnerte sich, wie Maddy ihm eben selbst sagte, dass eine Stimme ihm den Weg wies. „Aber Vater wird...“
„... Dir verzeihen.“, beendete Maddy den Satz.
Red schluckte. „Also soll ich... einfach gehen?“
Maddy nahm die Hand wieder herunter. „Wir brechen morgen früh auf. Was Du bis dorthin für Dich entschieden hast, liegt einzig in Deiner Hand.“ Er wandte sich um und ging den Gang wieder zurück. „Doch eines möchte ich, dass Du weißt.“
Red stiegen die Tränen in die Augen. Maddy sah ihn mit einem brüderlichen Lächeln an. „Egal, was Du dort draußen findest. Vergesse niemals, dass wir Deine Familie sind. Egal, was Du dort draußen findest, hast Du verstanden? Wir sind Deine Famile.“
Red nickte ihm ein letztes Mal zu.
*
Der Kreuzjäger sah auf das hölzerne Emblem, was ihm noch immer über die Schulter hing. „Und an jenem Abend entschloss ich mich, davon zu rennen.“
Miranda hatte bis hierhin still zugehört, doch nun erhob sie die Stimme. „Ich kenne diesen Maddy nicht... ist er ein Zauberer unseres Reiches?“
Er drückte die Sonne fest in seiner Hand. „Natürlich kennst Du ihn nicht. Er ist schon seit langem Tod.“
Sie schluckte und ließ den Kopf hängen. „Entschuldige, ich wollte nicht...“
Es war lange her, seit er das letzte mal sich einer Frau so öffnete. Erst in diesem Moment fiel ihm auf, dass er sie gedutzt hatte. Für gewöhnlich wurde jeder Bürger dafür bestraft. Doch so wie Miranda dort vor ihr saß, ohne Rüstung und ohne Titel direkt vor ihr in einer Zelle, dachte er sich, dass sie nun nicht mehr war, als er in diesem Moment.
Miranda biss sich auf die Lippe und sah dann wieder zu ihm. „Du hast Deinen Bruder sicher sehr geliebt.“
Er nickte, doch lächelte nicht dabei. „Er sagte es mir mit seinen Worten. Er sagte, ich solle die Familie nicht vergessen.“ Er legte seinen Kopf in seine Hand. „Ich Narr habe sie vergessen... Ich habe sie sogar verleugnet.“
„Auch Dango?“
Er stockte und sah dann auf das Emblem. „Nein. Sie habe ich niemals verleugnet.“ Er lächelte. „Aber eines nach dem Anderen...“
„General?“, ertönte es von außerhalb der Zelle.
Ein Soldat stand dort, der vor ihr salutierte. Man sah ihn an, dass er verunsichert war.
Miranda erhob sich und legte ihre Rüstung wieder an. „Was gibt es, Soldat?“
„Die Königin wünscht, euch zu sprechen, es geht um die Angriffe der Orks auf die Ostgrenze des Reiches.“
Miranda seufzte. „Nein... nicht schon wieder.“
Du hättest es doch auch so gewollt, hörte der Kreuzjäger die Stimme seiner Schwester in seinem Kopf. Er schüttelte amüsiert den Kopf und erhob sich ebenfalls. „General, wenn es sich anbieten lässt, so möchte ich mich mit meiner Kraft euch zur Verfügung stellen.“
Sie musterte ihn eindringlich und versuchte aus seinen Augen heraus zu lesen, ob das seine wahren Absichten waren. Ob sie darin etwas fand, wusste der Kreuzjäger nicht zu sagen.
Sie ging aus der Zelle heraus und verschloss sie wieder. „Ihr werdet weiterhin unter Arrest stehen, Kreuzjäger.“ Sie wandte sich an den Soldaten. „Verkünde ihrer Hoheit, dass ich auf der Stelle aufbrechen werde.“
Er salutierte und rannte voraus. Sie allerdings drehte sich noch einmal um und sah in die Zelle. „Ihr hättet ein Zauberer werden, der für das Reich hätte kämpfen können... Warum habt ihr euch dagegen entschieden?“
Warum er es getan hat, hatte er ihr nicht gesagt. Er sah ihr ein wenig unsicher in die Augen und antwortete dann: „Weil es etwas gab, was mir dazu geraten hat.“
„Was war es?“
Er drückte seine Hand auf die Brust. „Mein Herz...“
Sie schwieg einen Moment. „Und glaubst Du, dass es Recht damit behielt, kein Zauberer zu werden.“
Der Kreuzjäger lächelte von sich überzeugt. „Ja. Und wenn ihr wieder zurückkehrt, erzähle ich euch den Rest meiner Geschichte.“
Sie sahen sich einen Moment an. Für den Kreuzjäger schien es, als lag in dem Blick noch mehr...
Dann schloss sie die Augen. „Lebt wohl, Kreuzjäger.“
„Wartet!“, rief er.
Sie öffnete die Augen wieder und blickte verwirrt auf seine Faust, die er ihr entgegen streckte. In ihr baumelte an dem Band das Emblem der Innis. „Ich möchte es euch geben, auf dass es euch Glück bringt.“
Sie nahm es ungläubig entgegen. „Das kann ich nicht...“
Der Kreuzjäger lächelte. „Mir liegt sehr viel daran... bitte verliert es nicht.“
Sie sah ihn noch einen Moment an und verstaute es dann lächelnd. „Bei meiner Ehre als General. Ich werde über Dein Amulett wachen.“
Als sie die Zellen verließ, flüsterte der Kreuzjäger: „So wird es auch über Dich wachen...“
Morgen geht's weiter.